Kopernikus 6
haßte Goth, weil er lebte und Mason nicht. Ich hatte Mason geliebt. Er war Antiquar in den Archiven von Urheim gewesen und hatte fast von Anfang an für die Quästoren gearbeitet. Jahrelang hatte er unersetzliche Dienste geleistet, ehe das Kombinat seine Aktivitäten entdeckte. Er war der Razzia entkommen, aber seine Familie nicht. Man hatte ihm einen Verwaltungsjob im Quästoren-Hauptquartier angeboten, aber er hatte abgelehnt und darauf bestanden, im Feld zu arbeiten, ungeachtet aller Warnungen, daß dies für einen Mann seines Alters selbstmörderisch sei. Mason war ein großer, sanfter, gebildeter Mann gewesen, der stets so tat, als sei er mürrisch und rauh, der aber nachts allein weinte, wenn er glaubte, daß es niemand bemerkte. Ich habe oft daran gedacht, daß er vielleicht aus Itica hätte entkommen können, wenn er es ernsthaft versucht hätte, aber er war erschöpft gewesen, krank, von Schuldgefühlen geplagt und müde, und eigentlich war er nicht mit dem Herzen dabeigewesen. Dieser Gedanke hat mich später noch oft verwirrt. Mason war der einzige Mensch gewesen, der mir je etwas bedeutet hatte, und er hatte mehr als jeder andere dazu beigetragen, mich aus dem Schatten heraus in die Menschlichkeit zu führen. Und in diesem Moment hätte ich Goth niederschießen können, weil er in meinen Augen Masons Andenken verriet.
Schließlich ging Heynith die Luft aus. Er spuckte Goth an und wollte ihm ein Wort an den Kopf werfen, aber dann hielt er inne und funkelte ihn nur an. Seine Lippen waren weiß. Ich hatte gesehen, daß Heynith mir einen schnellen Blick zuwarf, mit einer kaum merklichen Drehung des Kopfes, ehe er verstummte. Beinahe hätte er sich vergessen und Goth einen Zombie genannt. Dies war auf Welt ein verbreitetes Schimpfwort, das der Trupp sorgfältig vermieden hatte, seit ich dabei war. Also hatte Heynith es niemals wirklich vergessen, obgleich er mich immer mit behutsamer Fairneß behandelt hatte. Meine Wut verwandelte sich in eiskalten Zorn, der sich nicht mehr nur gegen Goth richtete, sondern zu einem kranken Abscheu gegen die ganze Welt geworden war.
Heynith versprach Goth, daß er sich später um ihn kümmern werde, und zwar gründlich, und dann befahl er mir, hinauszugehen und das Null zu töten; zuerst sollte ich es den Hang hinauf und außer Sicht schaffen und danach die Leiche verstecken.
Mechanisch stemmte ich mich aus dem Graben und machte mich auf den Weg bergab auf die Lichtung zu. Meine Wut trieb mich über die ersten paar Meter, und mit meinen wattierten Handschuhen fegte ich das Gesträuch beiseite, aber sie ebbte rasch ab, und ich fühlte mich ausgehöhlt und taub. Ich hatte gewußt, wie die anderen im Trupp in Wirklichkeit über mich denken mußten, aber irgendwie hatte ich mich immer geweigert, es mir selbst einzugestehen. Jetzt hatte man mich mit der Nase darauf gestoßen, und zusammen mit den Qualen der letzten zwei Tage war das zuviel für mich.
Ich brach aus dem Gebüsch ins Freie.
Meine Schritte lösten eine Reaktion in dem Null aus. Trunken taumelnd kam es auf die Füße, und seine Arme pendelten schlaff hin und her, als es sich mir zuwandte.
Das Null war ein wenig größer als ich. Es war sehr schlank und konnte kaum sehr viel mehr als hundert Pfund wiegen. Es war kahl, vollständig haarlos. Seine Finger waren runzelig, kraftloses Fleisch, das von den keulenförmigen Händen baumelte; sie waren nie benutzt worden. Die Zehen hatte man entwickelt, damit die Techniker die Nulls von einem Sektor des Cerebrums in einen anderen führen konnten, aber seine Füße hatten niemals Gelegenheit gehabt, hart oder schwielig zu werden: Sie waren zerschnittene, blutige Klumpen. Die Nase war nichts als eine formlose Wölbung von rosigem Fleisch rings um die Nasenlöcher, und die Ohren waren gleichermaßen verkümmert. Die Augen waren riesenhaft, mit großer, milchweißer Hornhaut und kleinen Pupillen wie bei einem Nachtvogel, angepaßt an das trübe Licht des Cerebrums, mit der zusätzlichen Funktion, dem Entzug sensorischer Wahrnehmungen vorzubeugen; sie werden nicht wie die Synapsen oder die Ganglien an den psychokybernetischen Strom angeschlossen. An Schläfen, Handgelenken und unten an der Wirbelsäule waren kleine, häßliche Wunden, wo die Elektroden losgerissen worden waren. Es hatte einen pyjamaartigen Anzug aus nichtleitendem Material getragen, aber der war ihm fast gänzlich vom Leib gerissen; nur hier und dort waren noch ein paar Fetzen hängengeblieben. Geschlechtsorgane
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