Kopernikus 6
ließ die Mündung sinken. Eine Sekunde lang nichts, dann: wie? Und zaghaft noch einmal: wie? Meine Gedanken kräuselten sich verwirrt, und der Lauf meiner Pistole schwankte unentschlossen.
Das Null taumelte über die Lichtung, in langsamen Schlangenlinien. Fast wäre es den Geröllhang hinuntergestürzt, ein Fuß hing bereits unstet über dem Abgrund, doch dann fuhr es in einer tropistischen Reaktion zurück. Das Null schwankte ein paar Schritte rückwärts, blieb stehen, wankte und sank langsam auf die Knie.
Es beugte sich nieder, mit gesenktem Kopf, die Arme schlaff am Boden, die Handflächen nach oben gekehrt.
Heynith ließ seine Waffe in den Schoß sinken und schüttelte den Kopf. Er sagte, er wolle verdammt sein, wenn er eine Ahnung hätte, wo das Ding herkam, aber wir würden es loswerden müssen. Falls man es entdeckte, wäre unser Hinterhalt verraten. Automatisch hob ich meine Pistole und zielte, aber Heynith befahl mir zu warten. Keinen Lärm, sagte er, nicht jetzt. Goth sollte hinausgehen und es lautlos töten.
Goth weigerte sich. Heynith starrte ihm sprachlos ins Gesicht und lief dann rot an. Goth und Heynith waren schon früher aneinandergeraten. Goth war ein guter Mann, mutig wie ein Stier, aber er war eigensinnig, neigte zu oft dazu, seinem eigenen Urteil zu folgen, hatte zu häufig Anwandlungen von Sentimentalität und Empfindsamkeit, er dachte zuviel, um ein wirklich effizientes Rädchen im Getriebe zu sein.
Von Anfang an hatten sie sich nicht verstanden, und man hätte es nicht so lange toleriert, wenn die Quästoren nicht so dringend Leute gebraucht hätten. Goth kämpfte wie ein Teufel, wenn er gereizt war, er war einer der Besten, und das hatte seine Widerborstigkeit zu einem großen Teil aufgewogen. Aber andererseits war er seltsam zimperlich, und die Schutzschicht aus gefühllosem Narbengewebe, die man als Guerillakämpfer brauchte, hatte er nicht entwickelt – und das war beinahe unausweichlich tödlich. Schon früher hatte ich mich leidenschaftslos gefragt, wie lange er wohl durchstehen würde.
Goth war ein erblicher Vollbewußter, einer der wenigen, die mit den Quästoren zusammenarbeiteten. Er war Exekutivkadett bei der Verwaltung gewesen, hatte Zugang zu den alten Archiven gehabt, deren Kenntnis einen immer größeren Unmut über das Kombinat in ihm weckten, war schließlich im psychologisch richtigen Moment unter die Agitation der Quästoren geraten und desertiert. Nach einer zweijährigen Bewährungsperiode hatte man ihm die aktive Mitarbeit gestattet. Goth war einer der wenigen Feldkämpfer, die mehr durch Idealismus als durch Haß zur Mitarbeit angespornt wurden, und das machte uns ihm gegenüber mißtrauisch. Zudem hegte Heynith eine traditionelle Abneigung gegen erbliche Vollbewußte. Heynith hatte mehr als zwanzig Jahre lang zu einem industriellen Sechsklon gehört, bevor er sich den Quästoren anschloß. Sein Sechser war bei einem Produktionsunfall umgekommen, dessen Ursache in der üblichen Schlamperei des Kombinats gelegen hatte. Heynith hatte als einziger überlebt. Das Kombinat hatte gelindes Beileid zum Ausdruck gebracht, und sie hatten ihm gesagt, daß sie planten, einen neuen Klon von ihm anzufertigen, um den vernichteten Sechser zu ersetzen; natürlich würde er dann, aufgrund seines Dienstalters, die Verantwortung für diesen neuen Sechser übertragen bekommen. Sie hatten ihn angelächelt und überhaupt nicht daran gedacht, daß er vielleicht nicht noch einmal zwanzig Jahre mit biologischen Nachbildungen seiner toten Brüder und Schwestern würde arbeiten wollen, wobei ihn die Männer zusätzlich noch daran erinnern würden, wie er in seiner Jugend gewesen war, vor all diesen verheerenden, schmerzvollen Jahren. Heynith hatte ihnen höflich gedankt, war hinausgegangen und nicht mehr stehengeblieben. Zu Fuß hatte er die Graue Wüste durchquert und sich den Quästoren angeschlossen.
Ich sah, wie all dies in seinem Gesicht arbeitete, während er Goth mit seiner Wut überschüttete. Auch Goth spürte den Haß, aber er gab nicht nach. Das Null war nicht imstande, irgendwelchen Schaden anzurichten, und er würde es nicht umbringen. Es war genug Blut geflossen. Goths Gesicht war fahl, und ich sah, wie sich D’kotta in seinen Augen spiegelte. Dennoch empfand ich kein Mitgefühl für ihn, trotz meiner eigenen, eben erst ausgestandenen Qualen. Er verweigerte einen Befehl. Ich dachte an Mason, den Goth ersetzt hatte und der in Itica in meinen Armen gestorben war, und ich
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