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Kopernikus 7

Kopernikus 7

Titel: Kopernikus 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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stehen. Der Strom der Elektronen, den die Aggregate in die schlanken, plastikumschlossenen Bündel der Kabel speisten, versiegte geräuschlos. Lampen verloschen.
    Die Dunkelheit kroch weiter, lauerte geduldig, wo sich Holzfeuer in sie hineinfraßen, ließ sich Zeit und kroch dann langsam in die Asche, um die letzten, dunkelrot aufglühenden Funken zu ersticken und in sich zu begraben.
    Die Dunkelheit war mächtig, war allgegenwärtig, und nichts konnte sie mehr aufhalten auf ihrem Siegeszug. Die Erde versank in ihr. Lautlos.
     
    Der Junge, der in einer Ecke in dem unterirdischen Labyrinth der Tunnel und Abwässerkanäle zusammengekauert dasaß und vor sich hin wimmerte, weil ihn die Augen schmerzten, mochte 16 Jahre alt sein.
    Seine Gesichtshaut fühlte sich feucht an, und an einigen Stellen wurde sie von Pickeln verunziert.
    Im Dunkel, welches keine Intervalle mehr unterbrach, er wußte nichts mehr von Nacht und Tag, zu lange schon trieb er sich in den Gängen unter der Stadt herum, verdämmerte sein aufbegehrendes junges Leben in rauschhaften kurzen Exzessen, in denen er sich mit halluzinierten Bildern die Sinne überfluten und sich damit zu betäuben versuchte.
    Er riß die Augen auf, und das Dunkel darin schmerzte ihn. Manchmal lehnte er den Kopf gegen eine Wand und versuchte sich auf die Zeit zu konzentrieren, wo er noch etwas erkennen konnte. Wie in einem Film führte er sich seine Erinnerung vor. Nur daß die Regie zeitweilig zusammenbrach und die Bilder wirr ineinanderstürzten. Seine bisherige Lebenszeit erschien ihm seltsam verzerrt und verkürzt. Es war wenig, was sich seinem Körper und seinem Geist eingeprägt hatte. Es fiel ihm schwer, aus seinen Programmen eine Zukunft zu bilden. Grob sprang immer wieder das aufgedunsene Säufergesicht des Mannes hervor, der mit der Mutter zusammenlebte, daneben, an den Rändern verdeckt und ausgerissen, das ausgezehrte, geschminkte Gesicht der Mutter.
    Er hörte ein Geräusch am Ende des Ganges und packte seine Waffe, eine vorn spitz zugefeilte Eisenstange, fest mit beiden Händen. Er lauerte. Bewegungslos, gespannt, erregt.
     
    An einem regnerischen, kalten Tag im November verließ ein sechzehnjähriger Sonderschüler das Kleingartenhaus seiner Eltern. Die Kleingartenkolonie, deren Name „Krügers Ruh“ lautete, lag an dem Kanal, der sich im Norden an der Stadt vorbeizog, ein öliges und stumpfes Gewässer mit befestigten Ufern, auf dem lange Schleppzüge dahinglitten, tief in das Wasser eingetaucht, eingedrückt von den Kohlebergen, die oben aus den Laderäumen der Kähne herauslugten.
    Das Haus der Eltern wurde von den Steuerbeamten als „Gartenlaube“ geführt und war eigentlich nicht als Wohnhaus vorgesehen. Aber die Behörden hatten nicht verhindern können, daß sich hier, in der Nähe der Industrieanlagen der Nordstadt, am Kanal, auf freistehenden Ruinengrundstücken Kleingartenkolonien ausbreiteten. Die Macht der Gewohnheit hatte Verhältnisse geschaffen, wo ganze Arbeiterfamilien sich in Gartenlauben zusammenpferchten, um hier auszuharren, bis das Geld reichte, um in eine enge Wohnung in ein mehrstöckiges Mietshaus zu ziehen. Die Pacht war billig in der Kolonie und wurde für das Jahr berechnet. Die Behörden übersahen die illegal wuchernden Wohnungen, die sich hier, als Gartenlauben getarnt, ausbreiteten.
    Manchmal, wenn ein Beamter des Bauamtes angekündigt war, schienen die Häuser zusammenzuschrumpfen, ihr häßlichstes Äußeres anzulegen – nur um den Eindruck der Unbewohntheit hervorzurufen.
    Seitdem es von der Stadt gestattet worden war, elektrisches Licht in einer Gartenlaube zu installieren, hatten die Fernseher und Medientürme mit ihrer Berieselung die Gartenkolonie „Krügers Ruh“ an das Informationssystem und Mediennetz der Stadt angeschlossen. Man fühlte sich als Bürger. Man war nicht länger außen vor.
    Doch der Junge hatte es schwer, sich in das Sozialgefüge der Stadt einzuleben.
    Der Vater war dem Suff ergeben, hatte schon lange aufgegeben, dagegen anzukämpfen. Die Mutter war verschlampt. Die beiden lagen in ständigem Streit miteinander.
    Er war jedesmal aufs neue froh, den muffigen Wohnraum, in dem sie zusammen leben mußten, zu verlassen. Die Küche war ein an den einzigen Raum des Hauses angebauter Vorbau. Das Wasser mußten sie sich an der im Garten stehenden Pumpe mit dem Eimer holen.
    Das Klo lag draußen im Garten und bestand aus einem wackligen Bretterverschlag über einem Sitzbrett (dem Donnerbalken), unter dem

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