Kopernikus 7
mißmutig zwei zerrige Stunden ab. Er spürte Haß in sich auf die Lehrer, deren Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber den Schülern er bemerkte. Er machte, was notwendig war, um nicht zu sehr aufzufallen, nicht einen Klacks mehr.
Er schaute aus den großen, in Metallrahmen eingefaßten Fenstern des Klassenraumes in einen dunstverhangenen Novemberhimmel hinaus, in dem eine bleiche und kraftlose Sonne wie ein Schemen stand. Hier einfach hingestellt, fremd und unwissend, überflüssig kam er sich in der Klasse vor. Von den Lehrern konnte er nichts lernen. Die turnten ihre gleichgültigen Lehrernummern vor und waren froh, nach Hause, in ihre gemütlichen Fluchtburgen kriechen zu können. Dasitzend und an die Tafel starrend, auf der ihm unverständliche Zeichen wuchsen, dachte er an Tiere. Er liebte Tiere, weil die zart waren und sich streicheln ließen. Die Tiere waren immer dankbar, wenn sie Wärme und Zuneigung spürten. Sie ließen einen spüren, wie dankbar sie waren, wie wohl sie sich fühlten.
Wenn die Eltern ihn streichelten oder nett zu ihm waren, zog sich in ihm etwas zusammen. Er wußte, sie wollten dann was von ihm. Sie wollten dem anderen zeigen und vorspielen, wie gut und lieb sie als Elternteil gegen den Jungen sein konnten. Oder der Alkohol benebelte sie, höhlte sie aus, und sie versuchten dann, reumütig und winselnd, sich anzubiedern. Baten um Verzeihung, weil sie ihn vorher geschlagen hatten. Das Elend hatte sie aufgefressen. Von denen kam nichts mehr. Die hatten ihr Leben aufgegeben, verschenkt, vergessen, beiseite getan. Man hatte sie, weil sie schwach waren, in eine Ecke gestellt. Der Vater, dieser Waschlappen, den hatten sie als halbes Kind noch eingezogen und an eine Front geschickt. Später landete er in einem Gefangenenlager. Nach dem Krieg fing er dann mit krummen Geschäften an. Dabei war das gar nicht sein Vater. Sein richtiger Vater mußte ein amerikanischer Soldat gewesen sein, mit dem es die Mutter eine kurze Zeitlang getrieben hatte. Der Kerl, der jetzt wollte, daß er ihn Vater nennen sollte, der hatte dann im Knast gesessen. Hatte angefangen zu saufen. Und ihn, ihn hatte die Mutter aus einem sentimentalen Gefühl heraus Chick genannt. Zur Erinnerung an das Ami-Schwein. Er war froh, als die letzte Schulstunde vorbei war und er von seinen Gedanken befreit wurde.
Dete haute ihn an, ob er noch vor dem Fahrradkeller mit „boken“ wolle. Sie hätten einen Tennisball dabei. Er sagte zu. Sie rannten aus dem Schulgebäude, schmissen ihre Taschen in die Toreinfahrt vor dem Fahrradkeller und warteten, bis die anderen ihre Fahrräder herausgeholt hatten. Dann legten sie mit den Taschen ein Tor, auf das sie schossen. Ein Junge, der mit Nachnamen Westphal hieß, spielte auch noch mit.
Als sie schnaufend und verschwitzt von dem Gerangel ausruhten, zeigte Westphal den andern beiden pornographische Fotos. Sie zeigten zwei Huren mit schwarzen Strumpfbändern, die es mit einem Mann trieben.
Erregt schnaufend und schweigend beugten sie sich über die säuischen Bilder. Chick war erregt, aber zugleich ekelte er sich vor den Bildern. Die Huren und der Mann auf den Photos sahen seltsam gleichgültig, fast gelangweilt aus, wobei sie die verrücktesten Stellungen durchprobierten. Die sahen so aus, als bekämen sie dafür bezahlt, daß sie da vor dem Photographen sich verrenkten. Sexuelle Erregung, Geilheit, wie er sie von der Onanie her kannte, war etwas Dunkles, etwas Süßes und Geheimnisvolles, etwas Schönes. Er schwieg und machte keine Sprüche zu den Bildern wie Dete. Nach kurzer Zeit hatten die Bilder ihren Reiz verloren, und Westphal steckte sie wieder weg.
„Die habe ich meinem älteren Bruder geklaut“, sagte er.
„Wart ihr schon mal unter der Schule?“ fragte Dete, mit einer Betonung, als gäbe es wer weiß was dort unten zu sehen.
„Da unten, in den unterirdischen Gängen. Das ist wahnsinnig da unten.“
„Was soll da schon sein?“ Westphal dachte wohl, daß Dete ihm nur die Schau stehlen wolle. Schließlich war er es, der denen die geilen Bilder gezeigt hatte.
Dete zappelte herum und deutete aufgeregt auf den Fahrradkellereingang.
„Ich war mit Borkowski letzte Woche nach dem Sport da unten. Da kann man bis zur anderen Straßenseite und noch viel weiter unten langgehen. Hier, da hinten …“ – er zeigte auf die Straße, auf einen Gully – „… da hinten, aus dem Gully, da kann man von unten hochsteigen und rausschauen. Los!“
Er quengelte, wollte sie
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