Kopernikus 7
hereinströmte, und das andere Ende verschwand irgendwo in den Tiefen der Fabrik. Die Wände waren weiß und konturenlos – aus gekalktem Beton –, und sie wurden täglich zweimal abgewaschen, einmal vor der Mittagspause und einmal nach der Arbeit. Auch der Fußboden war abwaschbar. Er bestand aus Steinplatten, und es gab einen Wasseranschluß, mit dessen Hilfe man den Boden überfluten konnte. Dann nahm man einen Besen mit harten Borsten, mit dem man das Wasser umherfegen und die Flecken aufwischen konnte. In der Armee nannte man diese Tätigkeit „einen GI machen“. Mason war in der Armee gewesen. Er nannte es „einen GI machen“. Die drei oder vier anderen Veteranen, die in seiner Schicht arbeiteten, nannten es ebenso, und für sie war es immer ein Jux, wenn sie den Collegebürschchen, die als Aushilfen in der Fabrik beschäftigt waren, erklärten, wieso die Arbeit, zu der sie sich hatten anstellen lassen, so hieß. Die Collegebubis wußten nie, was „einen GI machen“ war, bis man es ihnen zeigte, und sie begriffen auch nie, was daran witzig sein sollte oder weshalb es so genannt wurde. Sie waren für gewöhnlich ziemlich dämlich.
Im Boden befand sich ein Abfluß, durch den das Wasser ablaufen konnte, wenn man den GI gemacht hatte. Trotz allem aber ließ sich die Halle niemals völlig sauber schrubben. Am Ende des Tages blieb immer ein wenig Blut zurück, das den Boden und die Wände befleckte. Allenfalls konnte man hoffen, es in den Steinplatten zu verreiben, so daß man es nicht mehr erkennen konnte. Nach einiger Zeit wurde das Weiß deshalb schmuddelig und stumpfte schließlich zu einem schmutzigen Spülwassergrau ab.
Dann wurde die Halle wieder gekalkt, und das Ganze begann von vorn.
Dieser Kreislauf dauerte etwas länger als ein Jahr, und im Augenblick waren sie ungefähr zur Hälfte hindurch. Die Männer, die hier arbeiteten, interessierte es im Grunde einen Dreck, ob die Wände weiß waren oder nicht, aber es war eine Betriebsvorschrift. Die Vorschriften bestanden darauf, daß die Halle aus hygienischen Gründen so sauber wie möglich gehalten wurde, aber es diente auch dazu, sie psychologisch attraktiver zu machen, damit das Personal besser funktionierte. Die Arbeiter hätten sich auch um die psychologische Attraktivität ihrer Umgebung einen Dreck gekümmert, selbst wenn sie gewußt hätten, was das war. Es war einfach nicht zu vermeiden, daß es an einem Arbeitstag hier ein bißchen schmutzig wurde.
Es war ein Schlachthaus, auch wenn es in den Schriften der Firma immer als Fleischverpackungsfabrik bezeichnet wurde.
Der Mann, der das eigentliche Töten ausführte, war Mason: der Brennpunkt der Firma, aller Fleischpacker und Lastwagen und Konservenabfüllanlagen und Sekretärinnen und Aktionäre. Er war ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Bei ihm fing alles an.
Er stand mit seinem Hammer am offenen Ende der Halle, ganz vorn am Anfang des Werks, und dort wartete er auf die Kühe, die vom Ladehof hereinkamen. Er hatte einen zehnpfündigen Vorschlaghammer, lang und schwer, mit geriffeltem Gummi am Griff, damit er ihn besser halten konnte. Damit schlug er den Kühen gegen den Schädel. Sie trieben die Kühe einzeln herein, über einen abschüssigen Gang direkt zu Mason, und Mason ließ seinen Hammer niederschwingen und schlug der Kuh mit ungeheurer Gewalt zwischen die Augen, und der Hammer fuhr glatt durch den Schädelknochen mitten ins Hirn und tötete die Kuh augenblicklich. Ein Schwall von warmem, klebrigem Blut drang hervor, und blau-rote Hirnmasse spritzte auf, die Kuh knickte in den Vorderbeinen ein, als wollte sie sich verneigen, und dann brach das Hinterteil zusammen, und mit einem donnernden Krachen sackte der
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