Kopernikus 7
selbst, und er quälte sich gespielte Entrüstung ab, um die plötzliche, unerklärliche Panik, die Angst, das Grauen zu überdecken. Denen bist du keine Rechenschaft schuldig. Rring (Schrei), rring (Schrei), rring (Schrei). Die Haut über seinem Magen kribbelte, und die feinen Härchen in seinem Nacken und auf seinen Armen sträubten sich. Aufhören, verdammt, aufhören, aufhören. „Sei still!“ schrie er mit rauher Stimme, immer noch halb stehend.
Das Telephon verstummte.
Die Stille war unglaublich bösartig.
Mason zündete sich eine neue Zigarette an, ließ das Streichholz fallen, riß ein zweites an und schaffte es schließlich. Er konzentrierte sich auf das Rauchen, auf den Geschmack des Qualms und das Gefühl davon in seiner Lunge, und er paffte in intensivem Stakkato (ichglaubeichkannichglaubeichkannichglaubeichkann-ichglaubeichkann). Irgend etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, aber er unterdrückte diesen Gedanken, drängte ihn ganz nach unten. Eine fühlbare Schwärze: Geh ihr aus dem Weg. Er war nur müde, sonst nichts. Er hatte einen wirklich miesen, wirklich harten Tag gehabt, und jetzt war er müde, und das machte ihn nervös. Die Arbeit schien von Woche zu Woche immer schwerer zu werden. Vielleicht wurde er alt und verlor sein Stehvermögen. Er vermutete, daß dies früher oder später zwangsläufig geschehen würde. Aber Scheiße – er war erst achtunddreißig. Er hätte es nie geglaubt, nicht einmal daran gedacht, bis heute.
„Du wirst alt“, sagte Mason laut. Die Worte hallten in dem kahlen Raum wider.
Er lachte unsicher, nervös, in gespielter Verachtung. Es schien, als ob die Wände das Lachen aufsaugten. Die Stille verschluckte das Geräusch seines Atems.
Eine Zeitlang lauschte er der Stille. Dann nannte er sich selbst ein blödes Arschloch, weil er über solchen albernen Quatsch nachdachte, und beschloß, es sei das beste, zu Bett zu gehen. Er stemmte sich hoch. Normalerweise pflegte er ein paar Stunden fernzusehen, ehe er schlafenging, aber heute abend war er wirklich im Arsch – erschöpft und verängstigt. Verängstigt? Wovor sollte er denn Angst haben? Das war doch alberner Quatsch. Mason stellte das schmutzige Geschirr ins Spülbecken und ging ins Schlafzimmer. Methodisch löschte er hinter sich die Lichter. Die Dunkelheit folgte ihm an die Schlafzimmertür.
Mason zog sich aus, legte seine Kleider beiseite und setzte sich auf die Bettkante. An dieser Seite des Gebäudes befand sich eine schäbige Absteige, und ihre rote Neonreklame blinkte direkt in Masons Schlafzimmerfenster. Dagegen half kein noch so dicker Vorhang, aber heute abend war er zu müde, um sich davon stören zu lassen. Es war ein schlimmer Tag gewesen. Er würde nicht darüber nachdenken, überhaupt nicht. Er wollte nur schlafen. Morgen würde es anders sein. Morgen würde es besser sein. Es mußte. Er knipste das Licht aus und ließ sich auf die Bettdecke sinken. Neonschatten pulsierten durch das Zimmer und überfluteten es rhythmisch mit stumpfem Rot.
Unruhig begann er einzudösen; es war heiß im Zimmer, und es war dunkel.
Er schlief schon fast, als er eine Frau in seinem Kopf weinen hörte. Das Weinen kratzte an der Innenseite seines Schädels und drang immer wieder, hier und dort, aus seinem Gehirn heraus. Eigentlich war es nicht das Geräusch des Weinens, im Grunde war es überhaupt kein hörbares Geräusch, sondern eher ein Gefühl, die Essenz des Weinens, einer unüberwindlichen Traurigkeit. Ohne aufzuwachen tastete er nach diesem flüchtigen Gefühl und versank dabei tiefer und tiefer in sich selbst – wie ein Taucher, der sich des Nachts in einen sturmgepeitschten Ozean versenkte und tief hinunterschwamm, dahin, wo es immer ruhig ist, wohin kein Lichtstrahl
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