Kopernikus 7
– es war vorherbestimmt. Er hatte keine Eile. Die Unausweichlichkeit färbte auch seine Gedanken. Es war nicht mehr erforderlich, viel zu denken, denn es war alles arrangiert. Sein Kopf war fast leer, nur die tiefen Strömungen zogen noch ihre Bahn. Ihre Nähe blendete ihn. Er ging umher und träumte von ihr, von der Vergangenheit und von der Zeit, die vor ihm lag.
Er ließ sich zum Fenster treiben und bewunderte müßig die Regenbogenreflexe, die das Sonnenlicht am Rande der Scheibe hervorrief. Die Straßen unten waren leer, es war so still wie in einer Kathedrale. Nicht einmal ein Vogel brach das heilige Schweigen. Papierfetzen tanzten wie Derwische über die Straße. Die Sonne erhob sich eben über den Backsteinhorizont, eine aufgedunsene rote Kugel, verschleiert noch vom Dunst der nahen Erde.
Er starrte in die Sonne.
Als er sich anzog, wurde er sich seiner Umgebung wieder bewußt. Verschwommen erkannte er, daß er seine Gürtelschnalle schloß, seine Füße in die Schuhe schob und die Schnürsenkel verknotete. Ein unregelmäßiges Muster aus Licht und Schatten an der Küchenwand fesselte seine Aufmerksamkeit.
Er stand vor dem Schlachthaus. Blinzelnd starrte er auf die durchbrochenen Eisentore des Gebäudes. Irgendwann mußte er den Bus genommen haben und zur Arbeit gefahren sein. Er erinnerte sich nicht. Es kümmerte ihn nicht.
Einen Korridor entlang. Das ferne Dröhnen einer Maschine.
Er war im Aufzug. Menschen. Abwärts.
Die Stechuhr.
Eine Tür. Der Umkleideraum, tief unten in der Fabrik. Mason zögerte. Sollte er heute zur Arbeit gehen? Jetzt, da Lilith so nah war? Es war gleichgültig – wenn Lilith käme, würde sie ihn finden, ganz gleich, wo er war. Bis dahin war es leichter, sich nicht gegen die geübten Reaktionen seines Körpers zu wehren; es war viel leichter, ihnen einfach zu folgen, sich von ihnen tragen lassen, wohin sie wollten, zu tun, was sie verlangten.
Er knöpfte seinen Arbeitsanzug zu. Er erinnerte sich nicht, die Tür oder den Spind geöffnet zu haben. Er befahl sich achtzugeben.
Eine Montage aus überraschten Gesichtern, hüpfend wie Luftballons. Mason drängte sich vorbei, ohne sie anzusehen. Ihre Lippen bewegten sich, aber er hörte nicht, was sie sagten.
Nicht zurückschauen. Sie können dich in eine Salzsäule verwandeln, all diese hohlen Menschen.
Der Hammer lag solide und schwer in seiner Hand. Sein vertrautes Gewicht half Mason, einen klaren Kopf zu bekommen und sich in der Welt zu verankern. Mason schritt rasch voran. Ein überlebendes Fragment seiner früheren Persönlichkeit war darauf erpicht, an die Arbeit zu kommen und den anderen Männern seine wiedererlangte Kraft und Energie zu demonstrieren. Er fühlte diese Regung wie durch einen gläsernen Ozean, wie den Phantomschmerz in einem amputierten Glied. Er ertrug sie gelassen; nach dem heutigen Tage würde so etwas nicht mehr wichtig sein.
Mason ging ans hintere Ende der langgestreckten weißen Halle. Lilith schien jetzt sehr nahe zu sein, und ihre Nähe rief ein unerträgliches Summen in seinem Kopf hervor. Er stolperte weiter, mit ruckhaften Bewegungen, als müsse er gegen einen wellenförmigen Druck ankämpfen. Sie würde jeden Augenblick eintreffen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie kommen würde und woher. Er konnte sich nicht vorstellen, was mit ihm, mit ihnen geschehen würde. Er versuchte sich ein Bild von ihrer Ankunft zu machen, aber sein Geist konnte nur auf Disney, Science Fiction und Religion zurückgreifen, und so sah er nur eine ätherische, wunderschöne Frau aus buntem Glas, die unter dröhnender Orgelmusik in einer goldenen Lichtsäule vom Himmel herniederstieg. Das Licht umgab
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