Kopernikus 7
beklebt mit Playboy- Ausklapp-Photos, Pornographie aus Tijuana und Familienphotos, die abgeblätterten Holzbänke und die Kästen mit Fußpuder, die grünweißen Wände des Umkleideraums, die mit betrieblichen Mitteilungen und komischen Aufklebern übersät waren – alle Einzelheiten dieses Augenblicks, seiner Realität, seines Lebens, verblaßten, sie wurden zu einem Gespenst, sie waren der Schatten eines Schattens, verschwanden völlig, existierten nicht. Es gab nur hier , und sie/er war Lilith. Sie und ihrer beider Berührung, unendlich viel näher noch als ineinander verschlungene Finger. Dann zerrte die Welt ihn davon.
Er öffnete die Augen. Die Realität kehrte zurück, in einem plappernden, übelkeitserregenden Schwall. Er kümmerte sich nicht darum; er war benommen von dem strahlenden Versprechen der kommenden Nacht. Die Welt verfestigte sich. Er trat zurück unter den Wasserstrahl der Dusche und spülte die Seife von seinem Körper. Er hatte eine ungeheure Erektion. Unbeholfen versuchte er sie mit einem Handtuch zu verbergen.
Mason fährt mit dem Taxi nach Hause. Zum erstenmal.
In dieser Nacht erlebt er seine Transformation, er wird aus sich selbst herausgerissen, sein Inneres kehrt sich nach außen. Das Lustgefühl ist so stark, daß es, wie ein Schmerz, in der Erinnerung verschwimmt und rückblickend nur noch als schwerer Schock erscheint: ein Gefühl in Gestalt einer Woge von loderndem, grellweißem Licht. Es ist eine Lust völlig jenseits seiner Vorstellungskraft – seine extremsten Phantasien finden nicht nur Erfüllung, sondern Verstärkung. Und trotz aller Intensität des Gefühls ist es doch zugleich sanft, es ist ein Wissen, ein restloses Teilen von Emotion, eine transzendentale Empathie. Und danach ist nichts als Frieden – eine Stille, die größer ist als der Tod und dennoch nicht einsam. Ich liebe dich, sagt er zu ihr, und es ist das erste Mal, daß er es bei jemandem glaubt. Er begreift, daß Worte keine Bedeutung haben, aber er weiß, sie wird es verstehen: Ich liebe dich.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, wußte er, daß dies der Tag sein würde.
Heute würde sie kommen. Die Gewißheit durchpulste ihn, er atmete sie wie Luft, und sie pochte in seinem Blut. Das Wissen darum drang durch jede Pore in seinen Körper und traf dabei auf dasselbe Wissen, das dort hervorsickerte. Es war etwas, das er in seinen Körperzellen spürte, eine biologische Zuversicht. Heute würden sie Zusammensein.
Er schaute an die Decke. Sie war pockennarbig von Wasserflecken. Ein tiefer Riß zog sich zickzackförmig durch den abblätternden Putz. Es war wunderschön. Er betrachtete es eine halbe Stunde lang, ohne sich zu bewegen und ohne zu merken, wie die Zeit verging, ohne überhaupt zu wissen, daß er eine „Decke“ betrachtete. Dann fügte sich in seinem Kopf etwas träge zusammen, und er erkannte die Decke. Sie störte ihn nicht, wie sie es noch am Mittwochmorgen getan hatte. Es war ein vorübergehender Zustand. Sie besaß nicht mehr wahre Bedeutung als die Wand eines Schmetterlingskokons nach der Metamorphose.
Mason rollte sich auf die Seite und stand auf. Erschöpfung und Alter waren verschwunden. Er war erfüllt von funkelnder, knisternder Vitalität; jedes Organ, jede Zelle schien mit einem Höchstmaß an Leistung zu arbeiten. Er war so gesund, daß „gesund“ kein angemessener Ausdruck mehr war. Dies war ein neuer, ein höherer Zustand.
Mason akzeptierte ihn ruhig und ohne Frage. Seine Bewegungen waren entspannt und bedächtig, beinahe wie in einer Zeitlupenaufnahme, als schwämme er in Sirup. Er wußte, wohin er ging und daß sie einander heute finden würden
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