Kopernikus 8
unserer Bereitschaft, beherrscht und damit von jeglicher Verantwortung entbunden zu sein. Doch wenn mich der Zwang überkommt …
Elfleda berührt meinen Arm, ich zucke heftig zusammen. Sie springt ebenso überrascht wie ich zurück, ihre andere Hand ist immer noch zum Himmel erhoben, wohin sie meine Aufmerksamkeit lenken wollte.
„Schau.“
Dunkelheit hat sich herabgesenkt. Ich betrachte die Sterne und sehe ein gleißendes, vielfarbiges Licht näher kommen. Über uns fliegen unsere Meister in einem lenkbaren Luftschiff, das majestätisch über den Bergen dahingleitet. Seine Maschinen sind fast lautlos. Es ist in Licht gebadet, das sogar die Baumwipfel darunter zu erhellen vermag. Es zieht direkt über uns dahin, wir hören Musik und Gelächter. Ich betrachte Elfleda. Das Licht färbt ihre Gestalt rot, violett, blau, grün. Ihr Ausdruck ist hoffend und sehnsüchtig. Mich sieht sie nicht an.
Ein scharfer Schrei des Schmerzes oder des Entzückens lenkt meine Aufmerksamkeit wieder zum Luftschiff. Als ich den Blick wieder senke, ist Elfleda verschwunden.
Aber was macht das schon? Was schert mich sie? Wenn sie mich nicht begehrt – andere tun es. Vor einem Augenblick fühlte ich mich noch abgespannt und müde, nun aber bin ich wieder mächtig und voller Freude. Zwischen mir und der Wiese liegt der halbe Wald, und wenn ich mich nicht beeile, werde ich zu spät kommen. Doch Entfernungen spielen keine Rolle. Immergrüne Zweige streichen über meine Gestalt, während ich dahineile. Der Schmerz in meinen Hufen ist kaum mehr als ein Insektenstich.
Alle von unserer Art haben sich auf der Wiese versammelt, Tiere und Halbmenschen gleichermaßen. Die kleinen Pegasi fliegen um und über uns, während die größeren, flugunfähigen ihr Gefieder zur Schau stellen. Ein auf einem Felsen sitzender Gryphon brüllt und kreischt, während der überirdische Schein des Fluggeräts uns einhüllt. Das Luftschiff senkt sich langsam herab. Es ist so groß, daß sein Umriß die Sterne auslöscht. Ich ergreife ein Haltetau, die Zentaurin Hekate ein anderes. Hekate zieht fester als ich, ihre Muskeln treten hervor. Das Schiff senkt sich auf ihrer Seite, sie lacht. Wir ziehen das Schiff gegen die Fliehkraft herunter und glorifizieren unsere Stärke. Dann binden wir die Taue an Bäumen fest. Unsere Meister betreten den Boden.
Sie sind gewöhnliche Menschen, so gewöhnlich wie wir vor unserer Veränderung. Sie sehen so seltsam aus mit ihren zwei Beinen sowie den fehlenden Hufen, Klauen und Haaren. Sie sind klein, schwach und doch übermächtig. Sie lächeln uns zu, und wir warten und hoffen, erwählt zu werden. Sie sind so herrlich anzusehen wie Blumen. Der Gryphon kauert sich nieder und reibt sich einschmeichelnd an ihren Beinen.
Eine schattenhafte Gestalt steht in der Luke des Flugzeugs und schaut herunter. Er tritt herab und zögert, als das Licht auf ihn fällt. Sein Gesicht ist ungeschlacht, sein Ausdruck unsicher. Er ist sowohl neugierig als auch furchtsam.
„Hekate!“
Der häßliche Junge verschwindet aus meinen Gedanken. Einer unserer Meister ruft Hekate, die gehorcht, ihr schwarzes Haar weht im Wind hinter ihr her. Ihre Hufe trommeln auf der Erde, bis sie schließlich vor der schlanken jungen Frau stehenbleibt. Ihr Pferdekörper ist kräftig und groß und eindrucksvoll, seine dunkle Ebenholzfarbe schimmert durch das bunte Licht des Luftschiffs. Im anderen Leben muß sie eine schöne und begehrenswerte junge Frau gewesen sein, denn sie ist ein verlockender Mythos. Die junge Frau springt auf ihren Rücken und gräbt die Fersen in ihre Flanken. Sie lacht. Hekate wirbelt herum und prescht über die Wiese, wobei sie den Schweif wie ein Banner hochhält. Die Vibrationen ihrer Huftritte
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