Kopernikus 8
oder, wie er es lieber nennt, das Gesicht Pans, eines Fauns der Künste, verblaßt auf dem Schirm. Er hat sogar die Ohren manikürt. Echt abgefahren.
„Bää-ää-ää!“ plärrt Chib dem Phantom hinterher. „Bä! Papperlapapp! Ich werde dir niemals in den Arsch kriechen, Luscus, und du in meinen schon gar nicht. Auch wenn ich einen Mäzen verliere!“
Das Telefon klingelt wieder. Das dunkle Gesicht von Rousseau Roter Falke erscheint. Seine Nase gleicht dem Schnabel des Adlers, seine Augen sind schwarze Glasscherben. Ein roter Stoff streifen ist um seine breite Stirn geschlungen, der das schwarze Haar zurückhält, welches ihm auf die Schultern fällt. Sein Hemd ist aus Wildleder, ein Perlendiadem hängt von seinem Nacken herab. Er sieht wie ein edler Indianer aus, obwohl Sitting Bull, Crazy Horse und sogar der edelste von allen, Roman Nose, ihn wahrscheinlich mit Fußtritten aus dem Stamm gejagt hätten. Nicht, daß sie antisemitisch gewesen wären, sie hätten einfach keinen Tapferen respektieren können, der Angstzustände bekam, wenn er sich einem Pferd nähern mußte.
Er wurde als Julius Appelbaum geboren und an seinem Namenstag rechtens zu Rousseau Roter Falke. Gerade gemaßregelt aus den Wäldern zurückgekehrt, suhlt er sich nun wieder in den fleischlichen Genüssen einer dekadenten Zivilisation.
„Wie geht’s dir denn, Chib? Die Bande fragt sich gerade, wann du wohl hier sein wirst?“
„Bei euch? Ich habe noch nicht gefrühstückt, und zudem habe ich tausenderlei Dinge zu erledigen, bis die Ausstellung beginnt. Ich werde gegen Nachmittag dort sein.“
„Den größten Spaß gestern nacht hast du versäumt, ’n paar gottverdammte Ägypter haben versucht, die Mädels anzumachen, aber wir haben sie an die Wand geselamt.“
Rousseau verschwand wie der letzte der roten Männer.
Chib denkt gerade an Frühstück, da meldet sich der Interkom. Sesam, öffne dich! Er sieht das Wohnzimmer. Rauch, zu dicht und wirbelnd, als daß die Klimaanlage ihn noch absaugen könnte, kräuselt sich dort. Am anderen Ende des Ovals schlafen sein Halbbruder und seine Halbschwester auf dem Bett. Während sie Mama-und-Freund spielten, sind sie eingeschlafen, ihre Münder in süßer Unschuld offen, wunderschön, wie nur schlafende Kinder sein können. Gegenüber ihren geschlossenen Lidern befindet sich ein starres Auge, das an einen mongolischen Zyklopen erinnert.
„Sind sie nicht süß?“ fragt Mama. „Die Kindchen waren einfach zu müde, um abzuzockeln.“
Der Tisch ist rund. Die betagten Ritter und Burgfrauen haben sich zur letzten Runde um As, König, Dame und Bube darum versammelt. Ihre Rüstungen bestehen lediglich Wulst für Wulst aus Fett. Mamas Unterkiefer hängen wie Fahnen an einem windstillen Tag herunter. Ihre Brüste zittern und ruckeln auf dem Tisch.
„Eine Horde von Spielern“, sagt er laut und betrachtet die fetten Gesichter, die riesigen Titten, die aufgedunsenen Wänste. Sie ziehen die Brauen in die Höhe. Wovon, zum Teufel, redet das wahnsinnige Genie nun schon wieder?
„Ist dein Kind wirklich retardiert?“ erkundigt sich einer von Mamas Freunden, worauf sie lachen und noch mehr Bier trinken. Angela Ninon, die sich mal wieder keinen Auftritt entgehen lassen will und sich denkt, daß Mama sowieso bald die Wasserspeier einschalten wird, pißt an ihren Beinen hinab. Daraufhin lachen sie alle, und William der Eroberer sagt: „Ich öffne.“
„Ich bin immer offen“, sagt Mama, worauf sie alle vergnügt kreischen.
Chib ist zum Weinen zumute, aber er weint nicht, obwohl er von Kindesbeinen an ermutigt wurde, immer zu weinen, wenn ihm danach ist.
… man fühlt sich hinterher besser. Schaut nur die Wikinger an, was das für Kerle waren, und
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