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Kopernikus 8

Kopernikus 8

Titel: Kopernikus 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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drang aus dieser jungfräulichen Öffnung.
    Die Henne gackerte, und das Geräusch brachte mich ein bißchen näher an die Wirklichkeit. Ohne die Augen von der Kreatur abzuwenden, flüsterte ich: „Was ist das?“
    „Er“, korrigierte mich der Mann. „Er ist eine Person. Könnte ein bißchen anders aussehen und handeln, aber er ist ein Mensch. So wie ich … so wie Sie.“
    „Was?“ Ich starrte ihn an, um zu sehen, ob er mich verspottete wie Mrs. Nickerson im Motel. Aber es war keine Bosheit in seinem wettergegerbten Gesicht. Er nickte der merkwürdigen Kreatur zu.
    „Isser nich’ ausgefallen?“
    „Wo haben Sie ihn her?“
    „Nun, er lebt bei mir seit ich, Moment mal … sechsundzwanzig war. Vorher war er bei dem alten Bo Wadley, bis dieser starb, und Bo selbst sagte mir, daß ihn sein Vater schon vor Bos Geburt im Besitz hatte. Er behauptete, daß er schon hier lebte, bevor weiße Menschen überhaupt nach Florida kamen.“
    „Boca Bianca“, sagte ich. Eine Offenbarung. Die Spanier müssen ihre Niederlassung vor etwa vier Jahrhunderten nach dieser Kreatur benannt haben. „Aber wie konnte er so lange überleben?“
    Der alte Mann saugte an seinen falschen Zähnen. „Der lebt länger als wir, nehme ich an.“
    „Was ißt er denn?“
    „Abgestorbene Pflanzen, verrottetes Holz und Torfmoos. Dazu trinkt er etwas Wasser.“
    Ich konnte das barocke Muster seiner Rippen erkennen, eine surrealistische Struktur neben gestreiften Bändern aus Muskeln und glattem, seidigem Fleisch. Die Physiognomie glich vage einem Menschen, und die glänzenden, roten Augen waren unergründlich. Diese Züge waren grotesk genug, aber der Mund verbog den zerfurchten Schädel zu einem schmerzvollen prognathischen Ausdruck, öffnete ihn zu einem Trichter, zu einem lautlosen Schrei, der eine empathische Saite in mir anschlug.
    „Warum halten Sie ihn hier in dieser Scheune, bei all diesen deformierten Tieren?“ fragte ich.
    „Tja, das war seine Idee“, antwortete der alte Mann vorwurfsvoll. „Wir brauchten Geld, um leben zu können, und so kam er vor ein paar Jahren auf die Idee mit der Freak-Show. Nach kurzer Zeit gewöhnte er sich an, hier draußen zu schlafen, um alles im Auge behalten zu können.“
    „Seine Idee? Habe ich Sie richtig verstanden?“
    „Ja. Er hat einen messerscharfen Verstand. Er zeigte mir, wo ich diese Krüppel finden konnte – abgesehen von der Eidechse. Die haben wir in einer Tierhandlung in Orlando gekauft.“
    „Das ist ja kaum zu glauben.“ Ich schüttelte den Kopf. „Er ist …“
    „Ausgefallen, nich’ wahr?“ sagte Bump, der einen Sack voll Torfmoos durch die Scheunentür trug.
    „Sind Sie auch mit von der Partie?“ fragte ich.
    „Mit wovon?“ antwortete Bump. „Ich habe schon eine Gärtnerei, seit der Interstate Highway und Disneyworld dem Hotelgewerbe den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Einmal die Woche bringe ich Zeke ein bißchen Torfmoos.“
    „Zeke!“ Ich lachte, denn ich erinnerte mich an den alten Gospelsong über Ezekiels „dry bones“ {3} , ein Bild, das genau die Kreatur im Terrarium widerspiegelte.
    „Ein ausgefallener Name war schon angebracht“, sagte Bump und lachte ebenfalls. „Er hat uns nie gesagt, wie sein richtiger Name lautet.“
    „Wahrscheinlich haben die dort, wo er herkommt, keine Namen, wie wir sie haben“, meinte der alte Mann.
    „Wo er herkommt …“ Der Gedanke inspirierte Ehrfurcht und Verwunderung.
    „Ziemlich weit weg“, sagte Bump leise. „Ziemlich weit.“
    „Eine andere Welt“, entgegnete ich fast noch leiser.
    Der alte Mann war ernst, und keiner von uns sprach, während wir über die Bedeutung dessen nachdachten, was wir gerade gesagt hatten.
    Nach kurzer Zeit riß Bump den Sack auf, löste mit seiner fleischigen Hand etwas Torfmoos und warf es in das halbkugelförmige Terrarium. Zekes zweigähnliche Finger, die das Dargebotene auffingen, waren fast so lang wie die von Bump. Anstatt vor uns zu essen, legte Zeke die Torfmoosteile unter diejenigen, die bereits auf dem Boden des Terrariums ausgebreitet waren.
    „Nicht jeder weiß, was er sieht, wenn er hier reinkommt“, sagte der alte Mann stirnrunzelnd. „Bumps Frau zum Beispiel kümmert sich nicht um Dinge, die … anders sind.“
    „Das habe ich gemerkt“, antwortete ich.
    „Sie ist bis heute der Meinung, daß er eine Art haarloser Affe ist.“
    „Verdammt, Levon“, erwiderte Bump, „sie war nie lange genug hier, um ihn lesen und schreiben zu sehen, und sie würde

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