Kopernikus 8
wollen kannst.“
„Ein Baby ist ein Mittel, Sextillionen von Ungläubigen zu bekehren.“
„Mag schon sein. Aber weißt du denn nicht, daß Onkel Sam sich das Herz aus dem Leib redet, um die Geburtenrate so niedrig wie möglich zu halten? Wo warst du denn dein Leben lang?“
„Ich muß jetzt gehen, Großpapa.“
Chib küßt den alten Mann und kehrt in sein Zimmer zurück, um das letzte Bild zu beenden. Die Tür erkennt ihn immer noch nicht, daher ruft er im Gummint-Reparaturladen an, doch dort teilt man ihm mit, daß alle Angestellten das Folklorefestival besuchen. Er verläßt das Haus berstend vor Wut. Girlanden und Luftballons wehen im künstlichen Wind, der extra für diesen Anlaß etwas stärker eingestellt wurde, und ein Blasorchester spielt am Strand des künstlichen Sees.
Großpapa sieht ihm durch das Skop nach.
„Armer Teufel. Seine Schmerzen bereiten mir Schmerzen. Er möchte ein Kind, und er zerfrißt sich innerlich, weil der arme Teufel Benedictine ihr Kind abtreiben läßt. Teil seines Schmerzes, aber das weiß er nicht, ist seine Identifizierung mit dem todgeweihten Embryo. Seine eigene Mutter hatte zahllose – nun, zumindestens einige – Abtreibungen. Doch durch Gottes Gnade hätte auch er eine davon sein können, ein weiteres Nichts. Er möchte, daß dieses Baby auch eine Chance bekommt, aber er kann nichts dazu tun, gar nichts.
Und dann ist da auch noch ein anderes Gefühl, das er mit dem größten Teil der Menschheit teilt. Er weiß, daß er sein Leben versaut hat oder daß etwas es aus der Bahn geworfen hat. Jeder denkende Mann, jede denkende Frau weiß das. Sogar die Blöden und Hirnverbrannten erkennen es unterbewußt. Doch ein Baby, so ein herrliches Wesen, ein unbesudeltes, sauberes Tablett, ein ungeformter Engel, repräsentiert ein Stück neue Hoffnung. Vielleicht wird es ja nicht versaut. Vielleicht wächst es zu einem gesunden, selbstbewußten, verständigen, humorvollen Mann oder zu einer ebensolchen Frau heran. ‚Es wird jedenfalls nicht wie wir oder unsere Nachbarn werden’, schwören sich die stolzen, aber voreingenommenen Eltern.
Chib denkt das auch und schwört, daß sein Baby anders sein wird. Aber er hält sich selbst zum Narren, wie alle anderen auch. Ein Kind hat einen Vater und eine Mutter, aber es hat Trillionen Tanten und Onkel. Nicht nur unter den Lebenden, auch unter den Toten. Selbst wenn Chib in die Wildnis fliehen und das Kind selbst aufziehen würde, würde er ihm seine eigenen unterbewußten Annahmen geben. Das Kind würde mit Verhaltensnormen und Glauben aufwachsen, von denen sein Vater nicht das geringste wissen würde. Mehr noch, als in der Einsamkeit erzogenes Wesen würde das Kind wirklich ein merkwürdiger Patron werden.
Und wenn Chib das Kind in dieser Gesellschaft erzieht, so wird es wenigstens teilweise die Verhaltensmuster seiner Spielkameraden, Lehrer und so weiter annehmen, ad nauseam.
Vergiß also, aus deinem wunderbaren ungeborenen Kind einen neuen Adam machen zu wollen, Chib. Wenn es aufwächst und nur ein bißchen geistig gesund wird, dann liegt das daran, daß du ihm Liebe und Disziplin gibst, daß es mit seinen gesellschaftlichen Kontakten Glück hat und daß es darüber hinaus bei der Geburt mit der richtigen Genkombination gesegnet ist. Und das bedeutet, dein Sohn oder deine Tochter ist Kämpfer und Liebhaber gleichzeitig.
WAS DEM EINEN SEIN ALPTRAUM
IST DEM ANDEREN SEIN FEUCHTER
TRAUM
sagt Großpapa.
„Ich habe mich erst gestern mit Dante Alighieri unterhalten, und er hat mir gesagt, was für ein Inferno an Dummheit, Grausamkeit, Perversion, Gottlosigkeit und brutaler Gewalttätigkeit das sechzehnte Jahrhundert gewesen ist. Über das neunzehnte allerdings zitterte er und suchte vergeblich nach angemessenen Schmäh- und Schimpfworten.
Und was sein eigenes Zeitalter anbelangt, so verursachte ihm das einen derart hohen Blutdruck, daß ich ihm ein Beruhigungsmittel geben und ihn mit Hilfe einer Krankenschwester via Zeitmaschine herausholen mußte. Sie sah aus wie Beatrice und war wahrscheinlich genau die Medizin, die er brauchte – vielleicht.“
Großpapa dachte kichernd daran, daß Chib als Kind diese Zeitreisegeschichten alle ernst genommen hatte, die er ihm beschrieb, und zu seinen Besuchern gehörten unter anderem: Nebukadnezar, der König der Grasfresser, Samson, der Rätselmeister der Bronzezeit, und Quell, der Philister, Moses, der seinem kenitischen Schwiegervater einen Gott stahl und dann sein ganzes Leben lang
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