Kopernikus 8
Rumoren in Spatz’ Eingeweiden ließ nach. Er stieg von der Truhe herunter, blieb einen Augenblick unentschlossen in der Mitte des Zimmers stehen, dann eilte er zum Fenster, riß es auf und kletterte hinaus.
Coyote schritt auf dem Teppich im Hauptzimmer hin und her, rieb die Hände aneinander und schritt weiter. Wohin war Spatz jetzt nur wieder verschwunden?
„He“, rief ihm Spinne zu. „Setz dich endlich wieder hin und hör auf, dir Sorgen zu machen! Ihm wird schon nichts passiert sein.“ Sie saß unter einem blauen Picasso-Druck, Schwan an ihrer Seite und Häschen auf ihrem Schoß. Rose und Fuchsia waren schon längst wieder gegangen, Rose zur Arbeit im Dorf garten und Fuchsia zur Töpferei.
Coyote wandte sich um und durchquerte den Raum erneut. „Es ist alles meine Schuld“, sagte er. „Hätte ich nicht die dumme Bemerkung gemacht, daß ich hören kann … dann wäre er mit uns gekommen, um dich zu empfangen, und das ganze unliebsame Ereignis wäre nie …“
„Coyote!“
Er blieb stehen.
Spinne sah müde aus. „Komm schon, kannst du dich denn nicht einfach eine Weile still hinsetzen und ruhig sein? Du machst mich nervös, dabei bin ich erst seit einer Stunde wieder zu Hause. Spatz muß an seinen Problemen arbeiten, deshalb ist er nicht hier. Irgendwann muß er einmal lernen, daß Leute, die hören können, ihm eben in mancher Hinsicht überlegen sind, und er kann sich glücklich schätzen, wenn er kein höheres Lehrgeld bezahlen muß, als eine Wette zu verlieren. Sei nicht so überempfindlich.“
Coyote überkreuzte die Arme und schürzte die Lippen. „Du nennst das einfach überempfindlich sein’, ausgerechnet du! Manchmal bin ich der Meinung, daß dir überhaupt nichts an Spatz liegt.“
Spinne sah mit zusammengepreßten Kiefern weg.
„Jetzt aber Schluß, Coyote“, sagte Schwan beschwichtigend. „Du weißt doch, was die Ärzte gesagt haben …“
„Die Ärzte können sich selber vergewaltigen!“ brüllte er.
Häschen verzog das Gesicht und begann zu weinen. Spinne wiegte sie und sagte: „Schon gut, Häschen, schon gut.“ Dann bedachte sie Coyote mit einem wütenden Blick über die Schulter des Kindes. Die verblüffte Schwan sagte nichts.
Coyote atmete tief durch und versuchte, etwas ruhiger zu sprechen. „Tut mir leid, daß ich dich angeschrien habe, aber ich mache mir Sorgen um Spatz. Schwan, die Ärzte kannten den Jungen nicht. Sie waren einfach stammelnde Verhaltensforscher, die ihre Statistiken durchforsteten, um so zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Die Burschen sind doch alle gleich.“
Spinne sah ihn ungläubig an und gab ein ersticktes Geräusch von sich.
„Die Ärzte rieten“, sagte Schwan, „sanft vorzugehen. Nichts zu erzwingen.“
„Erzwingen!“ Coyote schüttelte den Kopf. „Glaubst du, ich möchte etwas erzwingen? Ich möchte nur, daß mein Kind emotional ausgeglichen aufwächst.“
„Vielleicht bist du dabei zu streng“, sagte Spinne.
„Denkst du denn nicht daran, daß ich den Jungen liebe?“
„Pssst!“
„Du …“ Er wandte sich ab, dann wieder um. „Bei dir hört sich das an, als wäre ich auf einer Art Ego-Trip.“
Spinne sah ihn verblüfft an und lachte.
Er ging zur Tür.
„Schwer“, sagte Schwan mit leiser Stimme hinter ihm. Er umklammerte die Mulde neben der Tür und atmete langsam aus.
„Was?“ fragte er.
„Liebe“, sagte seine Mutter, „ist schwer zu teilen.“
Coyote grunzte und ging hinaus. Die Sonne hatte die Hälfte ihres Weges am Himmel bereits hinter sich gebracht, kleine Wölkchen sammelten sich vor ihrer gleißenden Scheibe. Es würde ein heißer Tag werden. Mit tief in die Taschen gesteckten Händen umrundete er die Außenkuppel. Warum fiel es ihm nur so schwer, mit Spinne zu reden? So ging das nun schon seit Monaten. Sie war
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