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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Spielzeugfrau in verkleinertem Maßstab.
    „Brand“, sagte der Engel zu ihm, über seinem Schlafnetz schwebend. „Zeigst du mir heute die Flitzer?“
    Er lächelte ihr zu. Seine Träume verflüchtigten sich. „Ja, Engel“, versprach er. „Heute ganz bestimmt. Komm jetzt zu mir.“
    Aber mit gespielter Sprödigkeit wich sie zurück, als er nach ihr griff. Ihr Gesicht übergoß ein dunkelgoldenes Erröten, und ihre seidigen Locken tanzten. „Oh, Brand“, protestierte sie. Dann, als er mit einem Fluch nach den Schnallen seines Schlafnetzes langte, kicherte sie und zog einen Flunsch. „Du kannst mich nicht haben“, piepste sie mit ihrer Kinderstimme. „Ich bin zu klein.“
    Brand lachte, zog sich am nächsten Haltegriff aus dem Netz und schwang sich daran herum und auf den Engel zu. Er war gut im freien Fall; schließlich hatte er zehn Jahre Übung. Aber der Engel besaß Flügel.
    Die Flügel wellten und kräuselten sich, als sie seitlich auswich, so daß seine Hand sie verfehlte. Er warf sich in der Luft herum, prallte mit den Füßen auf die Wand auf und stieß sich sofort wieder ab. Der Engel kicherte und strich mit dem Flügel über ihn, als er vorbeisauste. Brand krachte in die Decke und stöhnte auf.
    „Ooh“, machte der Engel. „Hast du dir weh getan, Brand?“ Und mit ein paar schnellen Flügelschlägen war sie an seiner Seite.
    Er lächelte und schlang seine Arme um sie. „Nein, aber jetzt hab’ ich dich. Seit wann ist mein Engel denn ein Rührmichnichtan, he?“
    „Oh, Brand“, sagte sie. „Es tut mir leid. Ich habe nur Spaß gemacht. Ich wollte ja zu dir kommen.“ Sie gab sich alle Mühe, zerknirscht auszusehen, aber trotzdem konnte ihr Mundwinkel ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
    Er zog sie fest an sich und drückte ihre fremdartige Kühle gegen seine eigene Glut. Diesmal gab es keine Scheu. Ihre zierlichen Hände glitten hinter seinen Rücken und hielten ihn fest, während er sie küßte.
    Schwebend und nackt verschmolzen sie miteinander, und Brand spürte die sanfte Liebkosung von Flügeln.
     
    Als sie fertig waren, stieß sich Brand zu seinem Spind, um sich anzuziehen. Fast ohne Flügelschlag hing der Engel daneben in der Luft, die kleinen Brüste immer noch von Gold Übergossen.
    „Du bist so hübsch“, erklärte sie ihm, während er seinen mattschwarzen Overall anzog. „Warum verdeckst du dich, Brand? Warum kannst du nicht so bleiben wie ich, damit ich dich sehen kann?“
    „So machen es die Menschen eben, Engel“, antwortete er, ohne weiter auf ihr Geplauder zu achten. Er kannte das alles schon. Mit einem metallischen Klicken zogen seine Stiefel ihn zu Boden.
    „Du bist schön, Brand“, murmelte der Engel, aber er nickte ihr nur zu. So etwas sagten nur Engel von ihm. Brand war knapp dreißig, sah aber älter aus; seine breite Stirn war gefurcht, seine dünnen Lippen zogen sich gewohnheitsmäßig nach unten, seine Augen unter den dichten Brauen waren dunkel, und sein Haar lag wie in modellierten Löckchen dicht an der Kopfhaut an.
    Als er angezogen war, hielt er kurz inne und öffnete dann eine Kassette, die an der Innenwand des Spindes festgeschweißt war. Darin lag sein Anhänger. Er nahm ihn heraus und schaute ihn an. Die runde Scheibe erfüllte seine Hand, ein kühler, polierter schwarzer Kristall, in dem Myriaden winziger Silberflocken eingeschlossen waren. Die blaßsilberne Kette schwebte in der Luft und wand sich wie eine metallene Schlange.
    Da erinnerte er sich, wie es früher in den alten Zeiten unter Schwerkraft gewesen war. Damals war die Kette schwer und der Kristall ein massives Gewicht. Trotzdem hatte er den Anhänger ständig getragen, ebenso wie Melissa sein Gegenstück. Auch jetzt wollte er ihn gern tragen, aber im freien Fall war das so lästig. Ohne Schwerkraft wollte der Anhänger nicht um seinen Hals liegenbleiben.
    Mit einem Seufzer legte er schließlich die Kette über den Kopf, zog den Kristall fest gegen seinen Hals, zwirbelte dann die Kette und wand sie doppelt und dreifach um den Hals. Als er fertig war, saß der Stein fest. Jetzt war es mehr ein enger Kragen als ein Anhänger. Unbequem. Aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
    Der Engel schaute ihm schweigend und mit leichtem Beben zu. Sie hatte den schwarzen Kristall schon öfter in seinen Händen gesehen. Manchmal saß er stundenlang in seinem Schlafnetz, der Stein hing über ihm, und er starrte in seine Tiefen, in den gefrorenen Tanz der Silberflocken, und seine Miene wurde finster,

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