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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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gestorben, ein letztes Blutströpfchen war auf seine Lippen getreten.
    Auch zwei andere waren krank.
    An diesem Nachmittag hatte Chola Nassams Hand genommen und ihn aus der Hütte geführt. Sie lebten auf einem jener zahllosen Baumstümpfe, die sich wie riesige Säulen über den Sumpf erhoben. Cholas Gesicht hatte im heißen Licht der blauweißen Sonne seltsam eckig ausgesehen. Sie hatte Nassam wortlos angesehen, dann war sie auf einen Ast gesunken. „Ich glaube … ich glaube, es ist die Strahlenkrankheit“, sagte sie.
    Sie sah auf. Nassam hatte noch nie von einer solchen Krankheit gehört, doch das Entsetzen in ihrem Blick erschreckte ihn. „Ich habe so etwas schon früher gesehen“, fuhr sie fort. „Vor Jahren – auf der Alten Erde, während des Demourai-Konflikts.“
    Ihr Blick wurde härter. „Ich habe dich gewarnt, Nassam. Aber du hast nur gelacht. Wir sind keine Verbannten, wir sind lediglich Versuchskaninchen!“
    Nassam hatte den Blick gesenkt und rang seinen Zorn nieder. Er ballte die Fäuste und lockerte sie wieder. Doch er wußte, daß sie recht hatte. Er war so vom Jagen, dem jungfräulichen Sumpf und der Vorstellung besessen gewesen, Herrscher über eine ganze Welt zu werden, daß er ihre früheren Warnungen in den Wind geschlagen hatte, daß der Glanz in Koobas Augen nicht der des Sieges, sondern der der Rache gewesen war. Chola hatte während Nassams Verhandlung jemanden sagen hören, daß dieses Sonnensystem einzigartig in der ganzen Galaxis war. Doch worin die Besonderheiten lagen, das hatte sie bisher nicht herausfinden können.
    „Wenn wir nur wüßten, woher die Strahlung kommt“, sagte sie. „Dann könnten wir vielleicht etwas tun.“ Sie schwieg einen Augenblick, ihr Atem ging unruhig. Sie war eine wunderschöne Frau mit breiten, muskulösen Schultern und einer breiten Nase, und doch hatte sie damals seltsam zerbrechlich ausgesehen. „Was sollen wir jetzt tun, Nassam?“ hatte sie mit dünner Stimme gefragt.
    Er wußte nichts zu sagen und fühlte sich nutzlos, daher gab er auch keine Antwort. Sein ganzes Wissen – das Gefühl der Macht des Speers, den Aufschlag eines Pfeils im Nacken eines Paledoen, das Geräusch eines Steinmessers beim Aufschlitzen einer Bogratte – all das schien nur eine Handvoll Schlamm zu sein, der ihm zwischen den Fingern hindurchrann.
    Und nun, während er hinter Leeani dahinstolperte und Mühe hatte, zu Atem zu kommen, andererseits aber auch zu stolz war, sie um eine langsamere Gangart zu bitten, kam er sich ähnlich nutzlos vor. Warum erzählte er den anderen nichts von seiner Krankheit und blieb zu Hause bei Chola? Warum brachte er sich selbst langsam um, indem er die Schlammbestien heimbrachte, obwohl den anderen ein gleiches Recht an dieser Ehre zustand?
    Seine Gefühle wurden verschwommen, der Schmerz in den Beinen wanderte zur Brust empor, er blinzelte. Die Baumstümpfe verschwammen vor seinen Augen, sie wurden gelblich und unklar. Wie die Gitter eines Käfigs, dachte er.
    Hätten sich die Dinge daheim auf Styele anders entwickelt – und das hieß: wäre alles so geblieben, wie es einst war –, dann hätte er eine styeletische Frau geheiratet, vielleicht eine seiner Schwestern, und würde nun schlafend in den Kissen seines Schlafgemachs liegen, um sich von der nächtlichen Jagd auf Säbelkatzen und Blutbestien zu erholen. Seine Haut wäre glänzend vom Öl, und auch die Quaste am Schwanzende wäre ordentlich gebürstet. Er würde eine Flasche voll Loque in den Händen halten (mit rotverschmierten Lippen und Kinn), sein Psi wäre mit dem der Kinder verbunden – damit er an ihren Leben teilhaben konnte. Die Psi-Kopplung war ein Erbe aus der Zeit, da sein Volk noch ein Nomadendasein geführt hatte; wurde sie mit den eigenen Kindern praktiziert, so konnte sie ein Vergnügen sein, so hatte ihm sein Vater gesagt, das sogar noch größer als das Jagen oder Kopulieren war. Chola nannte es Telepathie – ein Empfangen von Emotionen (aber nicht Gedanken), eine Form der Kommunikation, die noch während der Zeit entstanden war, als eine Familie im Verlauf der Jagd getrennt und ein Hilferuf ungehört von den starken Winden auf Styele verweht werden konnte.
    Wie die meisten Styelenier hatte auch Nassam diese Psi-Kopplung viele Male erlebt. Aber niemals mit Kindern. Chola hatte darauf bestanden, daß sie bis nach der Unterwerfung Koobas warten sollten, dann erst wollte sie Nassam geben, was er sich am sehnlichsten wünschte und was kein anderer Mann in der Stadt

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