Kopernikus 9
verständiger.“
Wieder starrte er sie an. Sein Schwanz schnellte zum Bein empor. Doch ihre Einsicht verblüffte und beschämte ihn, und als sie einander direkt in die Augen blickten, da sah er sein Spiegelbild – ein großer Mann, der in ihrem Blick sogar noch größer zu sein schien. Plötzlich erkannte er, daß sie sich aus Liebe zu ihm Sorgen machte. Ihre Augen schimmerten feucht, und einen Augenblick, während er unter der Last der Schlammbestie den Kopf senkte, war er sich nur dieser Augen und des Schweißes bewußt, der an seinen Schläfen herabrann. Er schluckte schwer. „Beim nächsten Mal wird ein anderer die Ehre haben“, hörte er sich sagen.
„Ja, ein anderer“, sagte sie, ohne ihn mit dem Blick freizugeben.
Doch der Augenblick verstrich. Einst hätte er vielleicht seine Partnerin, Chola, verlassen – er, der sich nicht aus Liebe, sondern des Nachwuchses wegen eine Partnerin genommen hatte – und sein Herz dieser katzenhaften Frau geschenkt, die zehn Jahre älter war als er. Doch während der vergangenen drei Jahre – seit die Seuche im Lager wütete –, hatte sein Herz nur Verzweiflung gekannt, und die hatte nicht nur seine Leidenschaft verdrängt, sondern auch die Hoffnung.
„Wenn es ein nächstes Mal gibt“, fügte er hinzu. „Wenn wir bis dahin nicht alle längst tot sind.“
Er sah Schmerz in Leeanis Augen. Ihre Lippen zitterten, dann machte sie kehrt und ging wieder in den Sumpf hinein. Er beobachtete sie – schlanke Hinterbacken, schlängelnder Schwanz. Dann folgte er ihr.
Der Schrecken war vorüber. Die Fütterung war vorüber. Die großen, geschlossenen Augen der Schlammbestien sanken wieder in ihre Gruben. Zeit zum Schlafen. Schenkte man dem Wissen Glauben, so war der Sumpf ein ewiger Feind. Aber auch eine Zuflucht: kühl und ruhig. Nun waren sie sicher. Die Luft strömte lautlos durch ihre Atemtrompeten. Sie schliefen.
Sie schritten einzeln und schweigsam aus. Er verspürte ein Gefühl des Bedauerns. In letzter Zeit schien es, daß er sich bei jeder Gefühlsaufwallung, ausgenommen Zorn, an Chola erinnerte, die fiebernd in der Hütte lag, und dann wurde aus jedem Gefühl unweigerlich Verzweiflung. Die Gabe der Führungskraft entglitt ihm. Auch seine physische Kraft schwand. Daheim auf Styele hätte er einen Paledoe wie ein Bauer tragen können, der einen Sack Getreide schleppt, aber hier konnte er kaum eine Schlammbestie auf den Schultern tragen, und selbst ein kurzer Lauf schmerzte in den Beinen. Die anderen Jäger, das wußte er, respektierten seine Jagderfahrung – obwohl sie es nicht zugaben und obwohl sie ihn haßten, weil er sich Chola, eine Terranerin, zur Partnerin genommen hatte. Doch wenn er sich auch bemühte, einen Eindruck von Stärke zu erwecken, indem er die Schlammbestie mit einer Hand niederrang und sie auch mit einer Hand zurückbrachte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich als Anführer von der Jagd zurückziehen mußte, bis er sich überhaupt von der Jagd zurückziehen mußte.
Denn auch er litt an der Seuche. Die Seuche hatte bereits zwanzig von ihnen auf dem Gewissen. Und Chola hatte gesagt, sie würde sie alle umbringen.
Einst hatte die Gruppe über einhundert Personen gezählt: alle Aufständische, alle von den Terranern und dem Verräter Kooba von Styele Verbannte. Einst hatten sie Sumpf als Paradies angesehen – hier, ohne Werkzeuge und Hilfsmittel, hatten sie sich ausnahmslos auf ihre Jagdfähigkeiten verlassen müssen. Die Schlammbestien erwiesen sich des Spiels würdig, denn sie kamen nur einmal, während einer kurzen Periode in der Nacht, an die Oberfläche, trompeteten lauthals und fraßen die rötlichen Pilze, die halb verborgen zwischen den Wurzeln der Farne wuchsen.
Einen ganz anderen Ton trompeteten sie, wenn die Jäger ihre Atemtrompeten mit den Lassos einfingen und sie von den Speeren durchbohrt wurden.
Doch nach einem Jahr hatte die Seuche zugeschlagen. Nassam hatte gespürt, daß etwas nicht stimmte: Die Frauen wurden unfruchtbar, die Jäger beklagten sich über Benommenheit und seltsame Schmerzen in den Gliedern. Und doch hatte Nassam in jener Nacht, als Pleena vom Feuer aufgestanden und weggetaumelt war, um sich zu übergeben, während die nächtliche Brise über die Glitzerseide strich, die er trotz der großen Hitze zu tragen pflegte, gelacht, bis ihm die Tränen gekommen waren. „Der fette alte Pleena! Ist betrunken vom abgekochten Sumpfwasser!“
Fünf Wochen später war Pleena mit kohlschwarzer Haut
Weitere Kostenlose Bücher