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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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miteinander verkitten? Erhalten sie in den kurzen Augenblicken Bewußtsein, in denen der Zug ihren Trassenabschnitt überquert? Ist ihre Bewußtheit wie die meine, wenn der Strahl der TransMat mich schneidet, ein einzelnes leuchtendes Abbild und dann verschwunden?). Mein Gesicht wird hier zum Gesicht anderer Menschen, mit schmaler Nase, dann mit breiter, kahlköpfig und lockig, hängewangig und mager.
    Kurz vor Grünstern gibt es einen Raumschiffsfriedhof, wo die Schienen in einiger Entfernung um diese Sonne einen Bogen ausführen und der Sternenzug nicht länger verlangsamt (auch wenn die ihn treibenden Leptonen Winde wecken, die traurig über die Kreisbahnen ihrer Welten pfeifen). Die Wrackteile sammeln sich in einem ewigen Schwerkrafttal, durch das meine Schienen führen und durch das der Sternenzug schnauft. Die Wracks glänzen smaragdfarben im Licht von Grünstern und sind mit Narben bedeckt, wo sein Sonnen wind sie während kalter Jahrhunderte angenagt hat. Es gibt keine Raumschiffe mehr, der Sternenzug hat sie getötet, so wie die TransMat den Sternenzug sterben läßt. Hier bei Grünstern ist auch der einzige Lebensabschnitt der Trasse meines Freundes Ben. Was war er für ein Kämpfer, was für ein Pferd von einem Mann! Nun ist er das hier, fünf Lichtjahre Schienen, und nicht einmal aus seiner besten Zeit. Ich habe fünf Minuten mit ihm, wenn wir die Kurve bewältigen, mit einem mürrischen und launischen alten Mann. (In vergangenen Zeiten, als beide Linien in Betrieb und die Züge voll waren, hatten wir Dame gespielt, wenn die Züge für einige Stunden anhielten, um Reisende und Fracht an Bord zu nehmen.) Jetzt spricht er selten, und in seinen leeren Augen und dem spröden, spärlichen grauen Haar sehe ich den Wunsch, daß ich nicht mehr kommen und ihn wecken möge. Der Rest seiner Trasse, nun leer und ungenutzt, führt durch einige der schönsten und eindrucksvollsten Gebiete der Galaxis.
    Die Frau im Salonwagen beobachtet mich, hat Angst, mich aus ihrem Blick zu entlassen. Ich habe Angst vor ihr, ich kann sie nicht verlieren. Wenn sie gegangen ist, ist auch meine Eisenbahn verschwunden. Ohne Reisende erwirtschaftet mein Sternenzug keinen Profit. (Daher muß ich meine Passagiere halten, muß sie bei Laune halten, muß sie in Angst halten, muß sie halten.) Oder ich werde wie Orsini, ein schwitzender Troll, dessen Linie eine Frachtlinie ist, die die Maschinen und Instrumente der TransMat transportiert, und dann, wenn die TransMat fertiggestellt ist, Welt für Welt ihre Trasse verliert. Nur auf der Erde, dem Zentrum aller Schienen, treffen Orsini und ich zusammen. Sie ist voll mit Geistern anderer Eisenbahner, ihr Himmel ist ein gigantischer Bahnhof, von wo diejenigen, die auf der Erde geboren wurden und die ihre Schienen und ihre Züge hinaus in die Galaxis trugen – Stern für Stern, bis dreißigtausend Lichtjahre weit –, auf die Erde hinabblicken. Sie leben nur in den Instandsetzungswaggons, die den Bahnhof überqueren. Sie sind ein Phänomen der Eisenbahn, von ihr untrennbar und außerhalb von ihr tot. (Sie sind es, und ich bin es!). Besonders jene, die von der Erde aus die TransMat benutzen, begegnen den Geistern des Sternenzugs, denn die Schienen hegen dort dicht an dicht.
    Wer hat die blauhaarige Frau getötet? Rosalinde würde es wissen. Sie weiß alles, was auf den Zügen geschieht. Aber Rosalinde ist Tage entfernt, hinter Mittelweg auf der Fahrt nach Kohleneimer. Rosalinde würde sagen: „Der und der hat die blauhaarige Frau getötet, der und der hatte Angst.“ Rosalinde hat keine Angst. Ihr Körper wird nirgends dünner. Ihr Zug wird laufen und laufen. Diese kraftlose alte Frau, die den Schienenkorridor entlangschnauft, wird noch lange nach mir fahren. Niemand fürchtet Rosalinde. Es gibt keine Flicken in ihren Schienen. Es gibt keine Unruhe in ihrem Zug. Er wird für immer weiterrollen. Die TransMat wird sie nicht schlagen. Ihr Zug wird rollen.
    Wußten wir, als wir die Eisenbahn bauten, was sie sein würde – ein endloses, grenzenloses Gefängnis für uns? Die blauhaarige Frau wußte es. „So betrunken bin ich nicht“, sagte sie. „Ich will dich nicht.“
    „Bitte“, sagte ich.
    „Wer bist du?“ fragte die blauhaarige Frau.
    „Lars Amudsen.“
    „Der bist du nicht.“
    „Wer bin ich dann?“ fragte ich. Sie machte mir Spaß.
    „Eine Verwirrung des Weltraums, der Geist eines Toten, die Ausrüstung eines Zuges. Du bist nichts, Lars Amudsen. Du bist absolut nichts.“
    Höre das

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