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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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zum erstenmal, daß sie nicht völlig der Wahrheit entsprach. Dann fügte sie noch hinzu: „Sein Herz ist voller Kummer … wegen Styele.“
    „Manchmal empfinde ich selbst so.“
    „Wenigstens ist hier das Jagen etwas Aufrichtiges“, sagte sie. „Nachdem die Terraner die Blutbestien ausgerottet haben, werden sich die Peitschenschwänze zu Tausenden auf das Getreide stürzen. Erinnerst du dich noch, wie ihre Augen glänzten? Es kam soweit, daß ich mich einfach im Feld niedersetzte, den Bogen nahm und meine Pfeile abschoß. Ich zielte nicht einmal mehr. Und dann die Paledoe, oh, die Paledoe!“
    Er hörte ihr nicht mehr zu. Hinsichtlich der Terraner war sie im Unrecht – wenn es auch vielleicht in Aptoli, hinter den Bergen, anders gewesen sein mochte.
    Doch außerhalb seiner Heimatstadt, der Stadt des Goldenen Schirms, hatte es sich mit der Jagd – schon lange bevor die Terraner ihre Station errichtet hatten – zum Schlechten entwickelt. Im Grunde genommen bereits lange bevor die Terraner überhaupt gelandet waren. Es hatte keine Massenmassaker an den Bestien gegeben. Die Ankunft der Terraner hatte lediglich einen Prozeß beschleunigt, der schon seit Jahrhunderten ablief: die Übernahme des Landes und des Jagdkonzils durch die Bauern.
    „Dann begannen meine Kinder, die alten Weisen zu meiden“, fuhr sie fort. „Mein jüngster Sohn war der erste. Er verbrannte den Bogen und verstreute die Asche auf dem Boden. Doch betrachtet man die heutige Jagd, wer will ihm einen Vorwurf machen? Er lehnte sogar mein Psi-Leben ab. Er behauptete, es sei ein Eindringen in die Intimsphäre. Kannst du das glauben, Nassam?“
    „Wenigstens könntest du in der Heimat Kinder haben.“
    Sie gingen stumm weiter. Nun konnte er bereits die nächste Hütte erkennen, die einen Meter über dem Schlammboden aufragte. Der Schlamm reichte ihm nun fast bis in die Gabelung seiner Beine, er war hell und weiß – eine Farbe, die, so hatte Chola ihm gesagt, wahrscheinlich auf eine Substanz zurückzuführen war, die sie Borsäure nannte. Die Schlammbestie fühlte sich sehr schwer an. Jeder Schritt war eine Quälerei.
     
    Sie schloß wieder die Augen und ließ sich vom Schlamm umfangen. Er war kühl und sanft und so still wie die Ungeborenen in ihr. An anderen Orten im Schlamm lagen andere Große, das wußte sie – doch sie befanden sich außerhalb der Reichweite ihrer Gedankensprache, Und doch waren die Schlammbestien einst eine Familie und keineswegs im Sumpf zu Hause gewesen, und die Überlieferung prophezeite Entkommen aus dem Sumpf. Doch sie wollte nicht aus dem Sumpf entkommen, aus dem kühlen Schlamm. Nur den Jägern wollte sie entfliehen.
     
2
     
    Die Hütte war lediglich von einer Feuerstelle erleuchtet und stank nach Erbrochenem. Chola hatte ihr Bett von der gewohnten Position neben der Tür entfernt. Nun lag sie an der gegenüberliegenden Wand und starrte in die Dunkelheit. Nassam durchquerte den Raum und kniete bei ihr nieder.
    Ihre seit der Kindheit pockennarbigen Wangen waren eingefallen; sie betrachtete ihn aus Augen, die im Kopf zu schweben schienen. Ihre Kopfhaut, die er beim Kopulieren gern mit der Zunge liebkoste, war schorfig und nahm eine schwärzliche Färbung an. Er sehnte sich nach ihrem langen, schwarzen Haar.
    „Hast du Fleisch mitgebracht?“
    „Sie schneiden gerade das äußere Fett weg.“
    „Du warst lange weg. Sicher bist du hungrig.“
    Ihre Sorge machte ihn verlegen, da sie ihn an sein Verlangen nach Leeani erinnerte. Er sah weg zur Wand der Hütte. Was für eine Frau! Obwohl sie todkrank war, stellte sie ihre Bedürfnisse hinter die seinen zurück. Wäre die Lage umgekehrt, er würde nur an sich selbst denken, das wußte er genau. Doch sie schien das Herannahen ihres Todes ebenso gleichgültig zu akzeptieren wie die Schatten neben der Feuerstelle. Abgesehen von wenigen Situationen, wenn Verwirrung oder Frustration – nicht Furcht – sie zum Weinen bringen konnten, war sie, das hatte er schon seit langem akzeptiert, die stärkere von ihnen beiden. Er war nur pro forma der Beschützer.
    Er nahm ihre Hand zwischen seine Hände und ließ sich auf die Fersen nieder. Sie setzte zum Sprechen an, sprach dann aber doch nicht. Ihre Augen blickten voller Zärtlichkeit. Er lächelte schwach. Wieviel hatte sie seinetwegen aufgegeben – für seine Rasse! Sie liebte die styelenischen Jäger, hatte sie ihm in ihrer Paarungsnacht gestanden, wegen ihrer physischen Schönheit. Weil sie sie an die halbnackten Vorfahren

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