Kopernikus 9
wie liebte er den Tod! Er erzitterte bei dem Gedanken, daß er diesem lebendigen Wesen alles Leben entziehen würde. Seine linke Hand packte zu.
Sie wich dem Griff nicht schnell genug aus, und er hielt sie fest. Der überlegenen Kraft des Riesen konnte sie sich nicht entziehen. Sie versuchte sich mit der Schwerthand zu befreien, indem sie auf seinen Arm hieb. Blut sickerte hervor, der Rodao’r hatte eine tiefe Wunde, aber er spürte sie kaum, so sehr war er von seinem Haß erfüllt. Sie konnte ihm nicht mehr entweichen, konnte nicht mehr fliegen, da er sie festhielt.
Es dauerte nicht mehr lange, und er hatte ihr mit seiner Keule das Schwert aus der Hand geschlagen. Sie war entwaffnet. Aus den Tiefen seiner Kehle entrang sich ein Brüllen, als er sich auf sie stürzte. Sie fiel zu Boden, und er drückte ihren Körper mit seinem Gewicht auf den Fels.
Verzweifelt rang sie mit ihm. Er hatte ihren Arm wieder losgelassen, und sie nahm beide Hände und preßte ihre runden Finger tief in seinen Hals. Sie nahm ihm die Luft. Er röchelte und versuchte ihren Leib zu zerdrücken.
Für diesen einen Moment war keiner von beiden im Vorteil, jeder genoß die Vernichtung des anderen, das langsame, immer fester werdende Zudrücken, das dem Körper jedes Leben auspreßte. Irrsinnig vor Haß klammerten sie sich aneinander, und Dasha fühlte die Schwere seines Körpers auf dem ihren. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um ihm die Kehle zuzudrücken, während er sie zu zerquetschen versuchte. Sein Gesicht lief blau an. Sie schien langsam die Oberhand zu gewinnen.
„Töten, nur töten“, war ihr einziger Gedanke. Sie verspürte einen leichten Stich in ihrem Leib, so wie der Stich einer Nadel – und dann legte er seine Eier in ihr ab. Trotz des haßerfüllten Taumels, in dem sie sich befand, bildete sich eine Frage in ihrem Kopf: Was war das für ein Stich, und woher kommt das warme Gefühl, das jetzt meinen ganzen Körper durchrieselt?
Sie hatte keine Zeit zum Überlegen, aber die Erkenntnis stellte sich ihr von allein ein. Wie ein Blitz durchzuckte es sie und zerteilte die Schleier der Erregung, die der Kampf in ihr Gemüt gebracht hatte. Die Erkenntnis erhellte sie so plötzlich, daß sie ihr Fieber verlor und klar zu denken vermochte. Das war es, also das war es! begriff sie. Sie löste ruckartig ihre Hände vom Hals des Riesen, den sie schon fast getötet hatte, und schrie.
Bor’r fühlte, wie die eiserne Umklammerung um seinen Hals sich löste, und hörte verständnislos, gleichzeitig verzweifelt nach Luft ringend, ihren Ruf: „Bor’r hör auf, du schwängerst mich!“
Zuerst wollte er seinen Vorteil wahrnehmen und sie töten, da sie ihn losgelassen hatte, aber auch er war ein Denker. Und nach einem kurzen Moment des Zögerns begriff er plötzlich den Sinn der Worte, die sie gerufen hatte.
Sie lösten sich voneinander, als hätten sie Feuer berührt. Dasha taumelte, als der Druck seiner riesigen Pranken um ihren Körper so ruckartig nachließ. Keuchend saßen sie sich gegenüber und starrten sich an, jeder für sich mühsam um Fassung ringend. Die Erregung fiel von ihnen ab, und sie hatten sich nicht gegenseitig getötet, aber sie hatten etwas viel Schlimmeres getan.
Der Riese starrte auf die Schalish. Sie hatte mehrere Wunden und sah ziemlich mitgenommen aus. Plötzlich erinnerte er sich an seine eigenen Verletzungen, und wie auf Kommando begannen diese nun zu schmerzen. Er unterdrückte ein Stöhnen.
Sie saßen sich ratlos gegenüber und konnten kaum verstehen, was sie getan hatten. Sie hatten erkannt, was sie niemals erkennen durften. „Also das ist es“, brach Bor’r schließlich das Schweigen.
Dasha nickte. „Ja, das ist es, ich wollte es immer wissen, aber jetzt, da ich es erfahren habe, möchte ich es am liebsten sofort wieder vergessen.“
Sie sprach damit auch seine Gedanken aus, denn auch er hatte sich immer gefragt, warum die Rodao’r gegen die Schalish kämpfen mußten, und jetzt wußten sie es. Es war eine Paarung. Im Todeskampf legte der männliche Gegner in der Weiblichen seine Eier ab, aber das geschah, während beide von Raserei befallen waren, und hinterher konnte sich niemand mehr daran erinnern. Nur sie beide hatten das Geheimnis aufgedeckt. Jetzt waren plötzlich alle ihre Fragen beantwortet. Deshalb hatte ihnen niemand eine Antwort geben können – es wußte ja keiner mehr davon, wenn der Kampf beendet war –, und deshalb mußten die beiden Völker sich auf ewig bekämpfen. Sie waren im
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