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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Schuld sein? Den Vorwurf müßte man an beide gleichermaßen richten.«
    »Interessant.«
    »Na ja, wissen Sie, ich reagiere einfach so. Ich habe die Nase gestrichen voll davon, daß jeder über Selma herzieht. Vielleicht bin ich genauso wie sie, und es berührt mich zu sehr. Paare treffen eben diese Vereinbarungen darüber, wer was tut. Damit meine ich nicht, daß sie sich hinsetzen und es besprechen, aber Sie verstehen mich schon. Der eine kann der Stille sein und der andere der Gesprächige. Oder vielleicht ist der eine ausgelassen, wo der andere schüchtern ist. Tom war passiv — schlicht und einfach — , also warum ihr vorwerfen, daß sie eingesprungen ist? An ihrer Stelle hätten Sie es genauso gemacht.«
    »Selma sagt, er war in den letzten paar Wochen sehr angespannt. Haben Sie irgendeine Ahnung, woran das lag?«
    Sie überlegte einen Moment lang und zog an ihrer Zigarette. »Ich habe nie groß darüber nachgedacht, aber jetzt, wo Sie es erwähnen, schien er wirklich nicht mehr der alte zu sein. Passen Sie auf, ich mache folgendes: Ich höre mich um, ob irgend jemand etwas weiß. Schließlich sind die Leute hier weder unaufrichtig noch heimlichtuerisch, sie wollen nur ihre Mitbürger schützen.«
    »Das habe ich gemerkt«, sagte ich. Ich holte eine Visitenkarte heraus und kritzelte meine Privatnummer in Santa Teresa sowie die Nummer des Motels darauf.
    Alice lächelte. »Cecilia Boden. An der kann man sich die Zähne ausbeißen. Wenn Ihnen das Motel zu sehr an die Nieren geht, können Sie jederzeit zu mir ziehen. Ich habe massenhaft Platz.«
    Ich erwiderte ihr Lächeln. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
    Ich ging in die Nachtluft hinaus. Die Temperatur war gefallen, und ich konnte meinen Atem sehen. Nach den Rauchwolken in der Bar fragte ich mich allerdings, ob ich lediglich den gespeicherten Qualm wieder ausstieß. Der Parkplatz war nur halb voll und die Beleuchtung gerade düster genug, um Unbehagen hervorzurufen. Ich blickte mich kurz um. Es war niemand zu sehen; allerdings hätten die Kiefern im Umkreis des Platzes auch jeden verborgen. Ich nahm die Autoschlüssel in die rechte Hand und hängte mir die Handtasche über die linke Schulter, während ich zu meinem Mietwagen ging und ihn aufschloß.
    Ich ließ mich hinters Lenkrad gleiten, schlug die Tür zu und versperrte sie, so schnell ich konnte. Voller Befriedigung lauschte ich, wie die Schlösser einrasteten. Die Windschutzscheibe war milchig beschlagen, und ich wischte mir mit der nackten Hand einen Fleck frei. Als ich den Zündschlüssel im Schloß umdrehte, schreckte mich das dumpfe Mahlen auf, das eine zu schwache Ladung der Batterie anzeigte. Nach einer Reihe von Fehlzündungen starb er wieder ab. Ich saß da und ließ vor meinem geistigen Auge einen Film ablaufen, in dem ich gezwungenermaßen wieder zum Lokal zurückging, Hilfe holte und schließlich nach weiß Gott was für Unannehmlichkeiten zu einer absurden Uhrzeit ins Bett kroch.
    Auf einmal sah ich auf dem Weg hinter mir Scheinwerfer aufleuchten und blickte mich im Rückspiegel danach um. Ein dunkler Lieferwagen fuhr langsam vorüber. Der Fahrer, der eine schwarze Kapuzenmütze trug, drehte sich zur Seite und starrte mich an. Die Augenlöcher in der Strickmütze waren weiß eingefaßt, während die Mundöffnung einen breiten roten Rand hatte. Der Blick des Fahrers verschmolz mit meinem, und beide trafen sich im rechteckigen Bildausschnitt des Rückspiegels. Ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam und meine Poren sich vor Angst zusammenzogen. Männlich , dachte ich. Weiß, dachte ich. Aber ich hätte mich auch in beiden Punkten täuschen können.

7

    Ich hörte den Kies knirschen, ein dumpfes Knallen wie Schüsse aus der Ferne. Der Lieferwagen fuhr langsamer und kam schließlich zum Stehen. Der Leerlauf des Motors durchdrang die nächtliche Stille. Ich merkte, wie ich den Atem anhielt. Ich wußte nicht, was ich tun würde, wenn der Fahrer ausstiege und auf mein Auto zukäme. Nach endlosen dreißig Sekunden fuhr der andere Wagen weiter, während ich ihm im Rückspiegel nachsah. Er trug keine Aufschrift auf den Seiten, woraus ich schloß, daß er nicht geschäftlich genutzt wurde. Ich wandte den Kopf zur Seite und beobachtete, wie der Lieferwagen am Ende der Durchfahrt ankam und nach links abbog. Es war unangenehm, das Objekt einer so penetranten Musterung zu sein.
    Ich versuchte erneut, mein Auto anzulassen. »Na los«, sagte ich. Der Motor machte eher einen noch matteren Eindruck.

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