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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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würde. Ich sah in den Rückspiegel. Der Lieferwagen hielt immer noch einen halben Häuserblock Abstand und hatte sich meiner Geschwindigkeit angepaßt, gemäßigten 35 Stundenkilometern. Ich erschauerte unwillkürlich wie durch ein innerliches Frösteln und drehte die Heizung auf. Ich sehnte mich verzweifelt danach, es wieder warm zu haben und einen anderen Menschen zu sehen. Führten denn die Leute nicht ihre Hunde Gassi? Mußte kein Elternteil schnell einen Liter Milch oder Hustensaft für ein Kind mit Pseudokrupp besorgen? Oder wie wär’s mit einem Jogger, den ich durch Zuwinken herbeiholen konnte? Ich wollte dem Fahrer des Lieferwagens zeigen, daß ich Hilfe hatte.
    An der nächsten Straße bog ich links ab und fuhr drei Blocks weit, den Blick stets in den Rückspiegel gerichtet. Binnen Sekunden kam der Lieferwagen hinter mir um die Ecke gefahren und setzte seine Verfolgung fort. Ich fuhr sechs Blocks Richtung Westen und bog dann wieder nach links ab. Diese Straße verlief parallel zur Hauptstraße, wo in keinem einzigen Haus Licht brannte. Normalerweise habe ich eine Pistole in der Aktentasche, die in meinem VW hinter dem Rücksitz liegt. Doch das hier war ein Leihwagen, und als ich Santa Teresa verlassen hatte, war ich mit Dietz zusammengewesen. Wozu sollte ich eine Waffe brauchen? Die einzige Herausforderung, die mir bevorstand, war, auf engem Raum mit einem Gehbehinderten zusammenzuwohnen. Bei meinem Charakter macht mir drohende emotionale Klaustrophobie mehr Angst als körperliche Gefahr.
    Zwanghaft blickte ich alle paar Sekunden in den Rückspiegel. Der Lieferwagen war immer noch da. Einer der Scheinwerfer beleuchtete die Straße, der andere mich. Ich habe genug Selbstverteidigungskurse besucht, um zu wissen, daß sich Frauen von Natur aus schwer damit tun, körperliche Gefahren einzuschätzen. Wenn wir in einer dunklen Straße verfolgt werden, wissen viele von uns nicht, wann sie die Flucht ergreifen müssen. Wir warten auf eine Bestätigung dafür, daß unsere Instinkte zutreffen. Wir schrecken davor zurück, Krach zu schlagen, weil ja denkbar wäre, daß wir irrtümlicherweise Ärger befürchtet haben. Wir zerbrechen uns eher den Kopf darüber, daß wir den Kerl hinter uns beleidigen könnten, und tun lieber gar nichts, bis wir genau wissen, daß er uns wirklich überfallen will. Fordern Sie eine Frau auf, um Hilfe zu schreien, und Sie bekommen ein jämmerliches Quieken ohne Gewicht und ohne jegliche Überzeugungskraft zu hören. Seltsamerweise ertappte ich mich dabei, daß ich genauso strukturiert war. Vielleicht war der Typ im Lieferwagen ja lediglich auf dem Heimweg, und ich fuhr zufällig genau den Weg, den er von vornherein hatte nehmen wollen. Ja, sicher doch. Falls der Fahrer des anderen Wagens mich jedoch nervlich zermürben wollte, wollte ich ihm nicht die Befriedigung einer offenkundigen Reaktion gönnen.
    Ich wollte nicht beschleunigen. Ich wollte nicht Fangen spielen. Ich bog noch einmal links ab und fuhr in gemessenem Tempo an den Häusern vorbei. Vor mir, kurz vor der Kreuzung, lag das Gemeindezentrum von Nota Lake mit dem Sheriffbüro. Daneben befand sich die Feuerwehr und neben dieser das Polizeirevier. Ich sah die Außenbeleuchtung, war mir aber gar nicht sicher, ob das Revier so kurz vor Mitternacht überhaupt noch besetzt war. Langsam kam ich zum Stehen, ließ aber die Scheinwerfer brennen und den Motor weiterlaufen. Der Lieferwagen hielt neben mir an, und der Fahrer wandte sich wie zuvor zur Seite, um mich anzustarren. Ich hätte schwören können, daß ein Grinsen durch den rotumrandeten Strickmund drang. Der Fahrer machte keine weitere Bewegung, und nach einem spannungsgeladenen Moment fuhr er weiter. Ich sah nach dem hinteren Nummernschild, doch es war mit Klebeband abgedeckt, und man konnte keine Ziffern erkennen. Der Lieferwagen wurde schneller, bog an der Kreuzung nach links ab und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich merkte, wie ich durch den Adrenalinstoß innerlich zu glühen begann.
    Ich wartete volle fünf Minuten, die mir allerdings wie eine Ewigkeit vorkamen. Ich musterte die Straße auf allen Seiten und reckte den Hals, um die Gegend dahinter abzusuchen, falls sich jemand zu Fuß näherte. Ich hatte Angst, den Motor auszustellen, Angst, ich könnte den Wagen dann nicht wieder anlassen. Ich schob mir die Hände zwischen die Knie, um meine eiskalten Finger zu wärmen. Das Gefühl der Beklommenheit war so handfest wie ein Fieberanfall und umfing meinen ganzen Körper.

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