Kopf in der Schlinge
mir Bescheid, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.«
»Sie könnten das hier tragen«, sagte ich und reichte ihm die Schreibmaschine. Er ließ sich nicht lumpen und trug mir Reisetasche und Schreibmaschine, als er mich zum Auto begleitete. Ich wartete, bis er weggefahren war, ging zum Büro und steckte den Kopf zur Tür hinein. Cecilia war nirgends zu sehen. Die Tischlampe brannte wie gewohnt, aber ihre Tür war zu, und ich vermute, daß sie den verlorenen Schlaf von letzter Nacht nachholte. Ich stieg ins Auto, verließ den Parkplatz und bog nach links auf den 395 ein.
Ich sah auf den Kilometerzähler, fuhr eineinhalb Kilometer weit und begann, nach der Stelle Ausschau zu halten, wo Toms Pickup an dem Abend geparkt war, als er starb. Wie Tennyson gesagt hatte, war sie nicht schwer zu finden. Zwei massive Felsbrocken und eine hochaufragende Kiefer, deren Wipfel fehlte. Ich konnte das aufgerissene weiße Innenholz sehen, wo der Blitz durch den Stamm gefahren war.
Ich rollte langsam an den Straßenrand und hielt an. Dann stieg ich aus und legte mir die schwere Lederjacke um die Schultern. Um diese Zeit war wenig Verkehr, und so herrschte morgendliche Stille. Der Himmel verbarg sich hinter dunklen, grauen Wolkenmassen, und die Berge waren nebelverhangen. Es hatte zu schneien begonnen; große, lockere Flocken, die sich wie eine Reihe von Küssen auf mein Gesicht legten. Einen Moment lang legte ich den Kopf in den Nacken und ließ den Schnee meine Zunge berühren.
Selbstverständlich gab es keine Spuren mehr von den Fahrzeugen, die vor sechs Wochen einmal hier geparkt hatten. Wenn Toms Pickup, Tennysons Streifenwagen und der Krankenwagen Erdreich und Kies am Straßenrand aufgewühlt hatten, so hatte die Natur mittlerweile sämtliche Hinweise darauf geglättet. Ich unternahm eine Rastersuche und hielt den Blick auf den Erdboden fixiert, während ich ein lineares Muster abging. Ich stellte mir Tom in seinem Pickup vor, der Schmerz wie ein Messer zwischen seine Schulterblätter verkeilt. Übelkeit, Beklemmung, der kalte Schweiß des Todes, der ihn zwang, sich zu konzentrieren. Zunächst einmal schob ich das Bild der Frau beiseite, die die Straße entlangging. Sie konnte ja genausogut eine Ausgeburt von James Tennysons Phantasie sein, ein Irrweg, der mich auf eine falsche Spur leiten sollte. Man muß bei jeder Untersuchung auf der Hut sein und darf Informationen nur mit einem Hauch Skepsis annehmen. Ich war mir Tennysons Motivation nicht sicher. Vielleicht war er — was nahelag — einfach ein aufrichtig hilfsbereiter Mensch, der seinen Beruf ernst nahm und mir seine Erinnerungen mitteilen wollte. Was mich hier interessierte, war die Möglichkeit, daß Tom sein Notizbuch aus dem Fenster geworfen oder dessen Inhalt in den letzten Momenten seines Lebens irgendwie zerstört hatte.
Ich suchte jeden Zentimeter Boden in einem Radius von dreißig Metern ab. Nirgends war ein Notizbuch, keine Seiten flatterten im Wind, keine Konfetti aus zerfetztem Papier, nirgends ein Eckchen oder ein Winkel, wo zusammengefaltete Aufzeichnungen hätten versteckt werden können. Ich trat Steine und Laub beiseite, schob herab gefallene Äste weg und grub Flecken verkrusteten Schnees auf. Es war schwer vorstellbar, daß Tom sich hier herausgeschleppt haben sollte, um so etwas zu bewerkstelligen. Meine Vermutung war, daß seine Arbeitsnotizen vertraulich waren und er sich in gewissem Maß darum bemüht hatte, ihren Inhalt geheimzuhalten. Aber vielleicht auch wieder nicht. Womöglich waren die Notizen gar nicht von Belang.
Ich ging zu meinem Auto zurück und steckte den Schlüssel ins Zündschloß, allerdings nicht ohne Mühe. Das Pflaster an meiner rechten Hand machte alles etwas beschwerlich, und ich befürchtete, daß die damit verbundenen Anstrengungen mich in den nächsten Tagen zermürben würden. Die Verletzung war zwar nicht gravierend, aber ärgerlich und unpraktisch, eine ständige Erinnerung daran, daß ich durch die Hände eines anderen gelitten hatte. Ich wendete auf dem Highway und fuhr zu Selma. Um zehn Uhr war ich auf dem Weg nach Hause.
12
Kurz nachdem ich Nota Lake verlassen hatte, fiel mir ein Streifenwagen des Bezirkssheriffs auf, der mir mit einem halben Kilometer Abstand Gesellschaft leistete. Die Entfernung war zu groß, um den Fahrer zu erkennen, aber auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, daß ich über die Grenze des Bezirks begleitet werden sollte. Ich sah ständig in den Rückspiegel, doch der Streifenwagen hielt
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