Kopf in der Schlinge
Telefonrechnungen des letzten Jahres in meine Reisetasche gesteckt und war dann in den Keller gegangen, um einen Blick auf die Kisten zu werfen, die ich schon vorher bemerkt hatte. Dort, in dem trockenen, überhitzten Raum, der nach Heizmaterial und erwärmtem Papier roch, herrschte eine merkwürdige Ordnung.
Obwohl sein Schreibtisch und sein Arbeitszimmer im Erdgeschoß ein uferloses Chaos darstellten, war Tom Newquist systematisch, zumindest, wenn es um seine Arbeit ging. Auf einem Regal zu meiner Rechten standen mehrere Pappkartons, in denen er gebündelte Arbeitsnotizen aus den letzten fünfundzwanzig Jahren aufbewahrte, seine Ausbildungszeit an der Polizeischule eingeschlossen. War ein Notizbuch voll, nahm er regelmäßig die sechsfach gelochten Blätter heraus, klebte ein Etikett mit den entsprechenden Daten daran und umwickelte sie mit einem Gummiband. Oft gehörten mehrere Bündel Notizen zu ein und demselben Fall; diese waren dann in einzelne große Umschläge verpackt, die ebenfalls etikettiert und datiert waren. Ich konnte mit den Fingern seine Ermittlungen zurückverfolgen, Jahr für Jahr, ohne Lücken oder Unterbrechungen. Manchmal hatte er außen auf einen Umschlag einen Vermerk geheftet, auf dem stand, daß sich jemand per Anruf oder Fernschreiber nach Einzelheiten eines Falls erkundigt hatte. Dann schrieb er eine aktualisierende Notiz und legte eine Kopie seiner Anmerkungen bei, auf der vermerkt war, von welcher Stelle der Anruf kam, worin der Inhalt der Anfrage bestand, und schließlich seine detaillierte Antwort.
Offensichtlich ergänzte er seine Erkenntnisse von sich aus mit Gerichtsaussagen, falls erforderlich, und das bei jeder Untersuchung, die er gemacht hatte, seit er in Nota Lake war. Die letzten der gebündelten Notizen stammten vom April letzten Jahres. Es fehlten die Notizen von Mai und Juni des vergangenen Jahres bis zu seinem Tod. Ich mußte annehmen, daß das fehlende Notizbuch die letzten zehn Monate umfaßte. Sonst gab es in seinen Unterlagen keine derart große Lücke.
Ich ging wieder nach oben, durch die Küche und in die Garage, wo ich erneut den Pickup durchsuchte — gründlicher als beim ersten Mal. Ich ließ mich sogar auf die Schulter herab, um mit der Taschenlampe unter die Sitze zu leuchten, da ich dachte, Tom hätte sein Notizbuch vielleicht in der Federung verborgen. Es war nirgends zu entdecken, also stand ich genaugenommen wieder am Anfang. Mein einziger Trost war, daß ich wirklich nichts unversucht gelassen hatte — soweit ich das beurteilen konnte. Aber natürlich hatte ich irgend etwas übersehen, sonst hielte ich seine Notizen jetzt in der Hand.
Der Regen wurde stärker, je weiter ich nach Süden fuhr. In Rosamond sah ich einen McDonald’s und hielt an, um die Toilette zu benutzen. Ich holte mir eine große Cola, eine große Portion Pommes frites und einen Big Mäc. Dazu schluckte ich eine Schmerztablette. Zwölf Minuten später war ich wieder unterwegs. Je näher ich Los Angeles kam, desto heiterer wurde meine Stimmung. Ich hatte mir gar nicht bewußtgemacht, wie deprimiert ich war, bis sich meine Laune besserte. Der Regen wurde mein Gefährte, und die Scheibenwischer hielten einen regelmäßigen Rhythmus, während der Highway unter meinen Reifen zischte. Ich stellte das Radio an und ließ schlechte Musik auf voller Lautstärke durch den Wagen dröhnen.
Am Highway 5 angekommen, bog ich nach Norden ab und fuhr bis zur Kreuzung mit dem Highway 126, wo ich erneut westliche Richtung einschlug, durch Fillmore und Santa Paula. Hier war die Landschaft von Zitrus- und Avocadohainen geprägt, am Straßenrand wurden die Früchte an Ständen angeboten, und dahinter erstreckten sich Wohnsiedlungen, so weit das Auge reichte. Die Route 126 ging in die 101 über, und ich hätte beim Anblick des Pazifiks fast laut aufgejault. Ich drehte das Fenster herunter und neigte den Kopf zur Seite, um mir Regentropfen aufs Gesicht wehen zu lassen. Der Duft des Ozeans war intensiv und süß. Unaufhörlich wogte die Brandung heran und zog sich wieder zurück, schlug sachte an den Strand, wo ab und zu Seevögel auf dem festgepreßten Sand entlangliefen. Das Wasser war seidig, endlose Bahnen grauen Tafts mit wirbelnder Spitze an den Rändern. Berge mag ich nicht, zum Teil weil ich so wenig Interesse an Wintersport habe, erst recht nicht an den Disziplinen, für die man eine teure Ausrüstung braucht. Ich vermeide Aktivitäten, die mit Geschwindigkeit, Kälte oder Höhe zu tun haben, und
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