Kopf in der Schlinge
Frühstück zur Hütte kamen, stand dort die Tür offen. Ich konnte Pulverspuren entlang den Außenkanten der Fensterbretter erkennen. Rafer stellte mich dem Mann von der Spurensicherung vor, der mir die Fingerabdrücke abnahm, um sie ausschließen zu können. Später wiederholte er das gleiche bei Cecilia und dem gesamten Putz- und Wartungspersonal. Er hätte sich die Mühe sparen können. Die Hütte gab keinerlei Beweismittel her: weder brauchbare Abdrücke an den Fensterscheiben noch an den Metallgegenständen und auch keine Fußspuren in der feuchten Erde, die zur Hütte oder von ihr weg geführt hätten.
Das Innere wirkte klamm, und im Bett lag immer noch das Kissenarrangement, das ich unter den Stapel Decken drapiert hatte. Der Raum war trostlos. Er war kalt. Der Digitalwecker blinkte, was hieß, daß es einen erneuten Stromausfall gegeben hatte. Das Adrenalin war nach und nach aus mir herausgesickert wie graues Wasser durch einen verstopften Abfluß. Ich fühlte mich beschissen. Ein Schauder des Widerwillens lief mir den Rücken hinunter, und ein weiteres Mal schämte ich mich meiner Unzulänglichkeit beim Versuch, mich selbst zu verteidigen. Beklemmung meldete sich unten an meinem Rückgrat, ein federleichter Denkzettel daran, wie verletzlich ich war. Eine Erinnerung kam an die Oberfläche. Ich war wieder fünf Jahre alt, verletzt und blutend nach dem Autounfall, bei dem meine Eltern ums Leben gekommen waren. Ich hatte den körperlichen Schmerz vergessen, weil der entsetzliche emotionale Verlust seit jeher im Vordergrund gestanden hatte.
Während Rafer und der Mann von der Spurensicherung sich draußen in gedämpftem Tom beratschlagten, holte ich meine Reisetasche heraus und begann meine Sachen zu packen. Ich ging ins Badezimmer, sammelte meine Toilettenartikel zusammen und warf sie unten in die Tasche. Ich hörte Rafer nicht hereinkommen, merkte aber plötzlich, daß er in der Tür stand. »Sie reisen ab?« fragte er.
»Ich wäre verrückt, wenn ich hierbliebe.«
»Da gebe ich Ihnen recht, aber ich dachte, Sie wären mit Ihren Ermittlungen noch nicht fertig.«
»Das wird sich noch herausstellen.«
Sein Blick ruhte voller Besorgnis auf mir. »Möchten Sie sich aussprechen?«
Ich sah zu ihm auf. »Worüber? Für mich ist das ein simpler Job, kein moralischer Imperativ. Ich werde für meine Arbeit bezahlt. In dieser Hinsicht habe ich wohl meine Grenzen.«
»Sie hören auf?«
»Das habe ich nicht gesagt. Zuerst spreche ich mit Selma, dann sehen wir weiter.«
»Hören Sie, ich merke genau, daß Sie beunruhigt sind. Ich würde Ihnen ja Schutz anbieten, aber ich kann keinen Hilfssheriff entbehren. Wir pfeifen hier sowieso schon auf dem letzten Loch...«
»Danke für die Anteilnahme. Ich lasse Sie wissen, wie ich mich entschieden habe.«
»Es könnte nicht schaden, Hilfe zur Seite zu haben. Kennen Sie irgend jemanden, der in puncto persönliche Sicherheit einspringen könnte?«
»Oh, bitte. Nur das nicht. Das würde ich nicht machen. Es ist einzig und allein mein Problem, und ich komme durchaus damit klar«, sagte ich. »Glauben Sie mir, ich bin weder stur noch stolz. Ich habe schon einmal einen Bodyguard engagiert, aber das hier ist anders.«
»Inwiefern?«
»Wenn dieser Typ mich umbringen wollte, hätte ei es letzte Nacht getan.«
»Hören Sie, ich bin auch schon zusammengeschlagen worden, und ich weiß, wie sich das auf einen auswirkt. Man wird ganz wirr im Kopf. Man verliert das Selbstvertrauen. Es ist wie beim Reiten...«
»Nein, ist es nicht! Ich bin auch schon öfter zusammengeschlagen worden...« Ich hob die Hand und unterbrach mich kopfschüttelnd selbst. »Ich weiß, Sie meinen es gut, aber ich muß selbst mit der Sache klarkommen. Mir fehlt nichts. Ich will nur keine Minute länger in diesem gottverlassenen Loch verbringen.«
»Gut«, sagte er, und in seiner Stimme lag Skepsis. Schweigend stand er da, die Hände in den Taschen, und wiegte sich auf den Hacken. Ich zog den Reißverschluß der Tasche zu, nahm Jacke und Tasche und sah mich in der Hütte um. Der Tisch war immer noch mit meinen Papieren übersät, und ich hatte die Smith-Corona vergessen, die nach wie vor mit halbgeschlossenem Deckel an ihrem Platz stand. Ich ließ den Deckel einrasten, stopfte die Blätter in einen großen Umschlag und diesen in ein Außenfach der Reisetasche. Mit der linken Hand umfaßte ich die Schreibmaschine. »Danke fürs Mitnehmen und für das Frühstück.«
»Ich muß jetzt zur Arbeit, aber sagen Sie
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