Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
»Ihre Tochter heißt Barrett?«
    »Das war Vicks Idee. Ich weiß gar nicht, wo sie es herhatte, aber irgendwie paßt es. Der Job hier ist übrigens nur vorübergehend. Sie hat sich für ein Medizinstudium beworben, weil sie gern Seelenklempnerin werden möchte. Auf die Art kann sie zu Hause wohnen und ihr Geld sparen, bis es losgeht.«
    »Wo hat sie ihr Grundstudium absolviert? An der U.C.L.A.?«
    »Wo sonst?« fragte er lachend zurück. »Und Sie?«
    »Ich habe Schulen gehaßt«, antwortete ich. »Die High-School habe ich gerade noch auf den allerallerletzten Drücker geschafft, aber dann habe ich aufgehört. Na ja, ich habe noch drei Semester Junior College angehängt, aber das fand ich auch gräßlich.«
    »Wie das? Sie wirken doch intelligent.«
    »Ich bin zu aufsässig«, sagte ich. »Die Polizeischule habe ich allerdings abgeschlossen, aber das war eher eine Art Straflager als eine Hochschule.«
    »Sie sind Polizistin?«
    »Ich war’s mal. Dazu war ich auch zu aufsässig.«
    Nancy kam mit der Kaffeekanne an unseren Tisch. Sie war Anfang Vierzig und trug die Haare weit zurückgekämmt und zu einem glatten Knoten geschlungen, über den sie ein Netz befestigt hatte. Sie hatte große braune Augen, einen Schönheitsfleck hoch oben auf der rechten Wange und die Art von Körper, angesichts dessen es Männern schwerfällt, die Hände bei sich zu behalten. Sie trug ein T-Shirt, weitgeschnittene Hosen und braune Halbschuhe mit einer zweieinhalb Zentimeter dicken Kreppsohle. »Sie sind aber früh dran«, sagte sie zu Rafer. Wir schoben ihr beide unsere Becher hin, und sie schenkte ein.
    »Kennen Sie Kinsey?«
    »Ja, wir haben uns bereits durch Alice kennengelernt.«
    »Hallo«, sagte ich. »Ich würde Ihnen ja die Hand geben, wenn ich könnte.«
    »Ja, ich habe schon davon gehört. Cecilia hat kurz reingeschaut, als wir gerade aufmachten. Sie sagt, sie hätten ganz schön was abgekriegt. Ihr Kinn wird langsam blau.«
    Ich legte eine Hand an die Stelle. »Das vergesse ich immer wieder. Es muß sagenhaft aussehen.«
    »Verleiht Ihnen Charakter«, sagte sie. Sie warf Rafer einen Blick zu. »Was möchten Sie zum Frühstück?«
    Er sah noch einmal auf die Speisekarte. »Tja, schauen wir mal. Ich möchte meinen Cholesterinspiegel möglichst hoch halten, also glaube ich, ich nehme Blaubeerpfannkuchen, Würstchen, zwei Rühreier und Kaffee.«
    »Zweimal, bitte«, sagte ich.
    »Möchten Sie Orangensaft?«
    »Na klar. Eh schon egal.«
    »Bin gleich wieder da.«
    Ich sah Rafers Blick zum Fenster wandern. »Entschuldigen Sie mich. Da ist Alex. Ich bringe ihn schnell zur Hütte und lasse ihn schon anfangen.«
    Ich mußte meinen Kaffeebecher mit beiden Händen halten, da die drei Finger meiner Rechten zusammengeklebt und so plump wie ein Topfhandschuh waren. Der Arzt hatte gesagt, ich könne das Pflaster nach ein oder zwei Tagen entfernen, wenn ich dabei kein Unbehagen verspürte. Er hatte mir vier Schmerztabletten gegeben, ordentlich in einem kleinen weißen Umschlag versiegelt. Ich konnte mich an ähnliche Umschläge von den Kirchgängen meiner Kindheit erinnern, wenn meine Spende von fünf oder zehn Cent in den Sammelteller gelegt wurde. Der Teller selbst war aus Holz und wurde von einer Hand zur nächsten gereicht, bis er bei einem Kirchendiener am Ende der Bank anlangte. Aus Gründen, die ich verdrängt habe, wurde ich aus unzähligen Sonntagsschulstunden hinausgeworfen, aber meine Tante Gin, die sich an meiner Statt beleidigt fühlte, fand, daß ich das Recht besaß, richtige Gottesdienste zu besuchen. Vermutlich wollte sie mir die spirituelle Erbauung nicht vorenthalten. Was ich in erster Linie lernte, war, wie schwierig es ist, Orgelpfeifen allein durch Hinsehen genau zu zählen.
    Ich sah aus dem Fenster und beobachtete Rafer, wie er den Parkplatz überquerte und in Gesellschaft eines jungen Mannes mit einem schwarzen Koffer, der so ähnlich aussah wie eine Arzttasche, auf die Hütte zuging. Ich erstellte eine körperliche Bestandsaufnahme, als ich die schmerzenden Rippen auf der rechten Seite spürte. Mein Kinn war vermutlich nicht geschwollen, hatte aber einen nicht zu übersehenden Bluterguß. Keine fehlenden oder lockeren Zähne. Auf meinem Po saß ein Knoten von der Größe eines Silberdollars, und ich wußte aus Erfahrung, daß er wochenlang tierisch jucken würde.
    »Miss Millhone, kann ich Sie sprechen?«
    Ich sah auf. James Tennyson stand in seiner hellbraunen Highway-Patrol-Uniform am Tisch, versehen mit sämtlichen

Weitere Kostenlose Bücher