Kopf in der Schlinge
verschiedenen Stilrichtungen gekleidet, saßen diese faden Plastikfrauen in ihren winzigen Klamotten da: Strandkleider, Abendkleider, Kostüme, Pelze, Shorts, Capes, Leggings, Badeanzüge, Baby-Doll-Schlafanzüge, Futteralkleider — jedes Stück mit den passenden Accessoires versehen. Es gab eine ganze Reihe Barbie-Bräute; allerdings habe ich mir Barbie nie verheiratet vorgestellt. In der Reihe darunter saßen zwanzig Barbies in Stewardessen- und Krankenschwestern-Uniformen — anscheinend war damit das gesamte Spektrum von Berufen abgedeckt, die ihr offenstanden. Einige der Puppen lagen noch in ihren Schachteln, manche standen offen da, an runden Plastikständern befestigt. Ich sah eine weitere Reihe sitzender Barbies — schwarz, blond und brünett — , die langen, perfekt geformten Beine ausgestreckt wie bei einer Tanzgruppe, alle ohne Schuhe, die makellosen Gliedmaßen in fast spitzen Zehen endend. Ihre Arme waren lang und unglaublich glatt. Sicher hatten sie zusätzliche Wirbel im Hals, um das Gewicht ihrer voluminösen Haarmähnen zu tragen. Ich gestehe, daß mir die Worte fehlten. Homer lehnte an der offenen Tür und beobachtete meine Reaktion.
Ich wußte, daß nun etwas vor mir erwartet wurde, also sagte ich in hoffentlich ausreichend respektvollem Tonfall: »Erstaunlich.«
Homer lachte. »Ich habe mir schon gedacht, daß Ihnen das gefallen würde. Ich kenne keine einzige Frau, die einem Zimmer voller Puppen widerstehen könnte.«
»Äh«, machte ich.
Dolores sah mich schüchtern an. Sie hatte eine Puppe auf dem Schoß, allem Anschein nach keine Barbie, sondern ein anderer Typ. Mit einem kleinen Hammer und einem Tapetenmesser schnitt sie ihr den Bauch auf. Dicht nebeneinander standen in einer Schachtel lauter identische kleine Plastikmädchen, geschlechtslos und unversehrt, deren Brustkörbe von einem ähnlichen Lochmuster durchbohrt waren wie bei altmodischen Radiolautsprechern. Daneben befand sich eine Schachtel mit den Köpfen der kleinen Mädchen, deren Augen sittsam geschlossen waren und deren Mundwinkel sich auf beiden Seiten der perfekten Lippen lächelnd nach oben zogen. »Chatty Cathys«, erklärte sie. »Das ist mein neues Hobby. Ich repariere ihre Stimmen, damit sie wieder sprechen können.«
»Ist ja toll.«
»Ich lasse euch Frauen mal allein. Ihr habt eine Menge zu besprechen.«
Er schloß die Tür von außen, mit sich selbst so zufrieden wie ein Elternteil, das zwei zukünftige beste Freundinnen miteinander bekannt macht. Meine unselige Vergangenheit mit Ersatzkindern hatte er freilich nicht erraten. Meine erste Puppe, eine Betsy Wetsy, hätte irgendwann eine Psychotherapie gebraucht, wenn sie überlebt hätte. Im Alter von sechs Jahren fand ich es ätzend, ihr diese kleinen Wasserfläschchen zu trinken geben zu müssen, und es nervte mich jedesmal tierisch, wenn sie mir auf den Schoß pinkelte. Als ich herausgefunden hatte, daß es das Wasser war, verweigerte ich ihr jegliche Nahrung und benutzte sie als Fußgängerin, die ich mit meinem Dreirad überfuhr. Das war meine Definition mütterlicher Liebe und erklärt vermutlich, warum ich heute keine Kinder habe.
»Wie viele Barbies haben Sie denn?« fragte ich und heuchelte Begeisterung für die kleinen Protofrauen.
»Etwas über zweitausend. Das hier ist der Star meiner Sammlung, eine Barbie der ersten Generation in Originalverpackung. Der Verschluß ist zwar aufgerissen, aber sie ist quasi unberührt. Ich traue mich gar nicht, Ihnen zu sagen, was ich dafür bezahlt habe«, sagte sie. Ihre Redeweise war flach und ihre Art ungekünstelt. Sie hielt nur selten Blickkontakt und richtete die meisten ihrer Kommentare an die Puppe, während sie weiterarbeitete. »Homer hat mich immer sehr unterstützt.«
»Das sehe ich«, sagte ich.
»Ich bin ein bißchen puristisch. Viele Sammler interessieren sich auch für die anderen aus der Reihe — Sie wissen schon, Francie, Tutti und Todd, Jamie, Skipper, Christie, Cara, Casey, Buffy. Ich hatte für die nie etwas übrig. Und für Ken erst recht nicht. Hatten Sie als Kind eine Barbie?«
»Kann ich nicht behaupten«, antwortete ich. Ich nahm eine in die Hand und musterte sie. »Sie sieht aus, als litte sie an irgendwelchen Eßstörungen, finden Sie nicht? Was hat Sie veranlaßt, sich mit den Chatty Cathys zu beschäftigen? Die liegen doch für eine Barbie-Puristin ganz weit vom Schuß.«
»Die meisten der Chattys gehören mir gar nicht. Ich repariere sie für eine Freundin, die das professionell
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