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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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reden, okay?«, sagte Henry.
    Â»Okay«, sagte Birte und setzte die Sonnenbrille wieder ab.

12.
    Man konnte ja nicht sagen, dass Henry ein kleines Licht war, ein Niemand. Natürlich hatte er seine feste Stelle verloren, aber – da gab Henry seinem Chef im Nachhinein recht –, er hatte schließlich selbst darum gebeten, entlassen zu werden, wenn auch nur befristet.
    Würde sein zweites Buch annähernd so erfolgreich werden wie das erste, standen ihm eine Menge weiterer Optionen offen. Er konnte sich vorstellen, beim Film zu arbeiten, Drehbücher zu schreiben, oder beim Fernsehen, in einer zeitgeschichtlichen Redaktion, wofür er als studierter Historiker bestens qualifiziert war. Zur Not sogar in der Werbung, als Texter vielleicht. Seine Kolumnen und das Buch sollten als Referenzen genügen.
    Henry hatte es doch schon geschafft, weshalb nur beschlich ihn in letzter Zeit wieder dieses Gefühl, das er bereits aus seiner Studienzeit kannte. Er hatte damals, mit einem Kommilitonen zusammen, eine Wohnung mieten wollen. Sie saßen im Büro des Vermieters, der ihnen erklärte, dass er einen Einkommensnachweis benötige, bzw. eine Bürgschaft der Eltern, um den Vertrag vorzubereiten. Sie sollten ihm die entsprechenden Dokumente mit der Post schicken, er werde sie dann in zwei Wochen zur Unterzeichnung erwarten.
    Henry besaß kein festes Einkommen und wagte nicht, seine Eltern zu fragen, ob sie für ihn bürgten. Zwei Wochen schlich er durch die Gegend, ebenso unfähig, sich auf das Studium zu konzentrieren, wie dafür, eine Lösung für das Problem zu finden. Er konnte nachts nicht einschlafen und hatte morgens keine Lust aufzustehen, bis sich die Sache einfach dadurch löste, dass die Eltern des Kommilitonen die Bürgschaft übernahmen.
    Und ein ganz ähnliches Gefühl befiel Henry an einem trüben Februarsonnabend, als er vor einer zweistöckigen, elfenbeinfarbenen Villa aus dem Taxi stieg. Die Villa war im amerikanischen Landhausstil gehalten und stand auf einem kleinen Hügel, inmitten eines Gartens von Parkausmaß.
    Henry hielt den Atem an: Es war still hier draußen, das Geräusch des Taximotors klang wie gedämpft, was an der grauen, tief hängenden Wolkendecke lag und an der zwei Zentimeter hohen Schneedecke, mit der die Landschaft überzogen war. Noch immer fielen einzelne Flocken, am Horizont, wo das Wasser sein musste, von dem Birte erzählt hatte, stieg ein Krähenschwarm auf.
    Henry nahm die beiden Reisetaschen aus dem Kofferraum und stellte sie auf die Straße. Dann sah er abermals zum Haus hinüber, wo gerade ein hochgewachsener, weißhaariger Mann aus der Verandatür trat.
    Der Mann ließ den Blick über seinen Garten schweifen und winkte dann herüber. Und genau in diesem Moment übermannte Henry das komische Gefühl, und es verhinderte, dass er zurückwinkte, und ließ ihm stattdessen die bleischweren Arme reglos vom Körper hängen.
    Das Taxi fuhr ab, und Birte, die die Rechnung bezahlt hatte, trat von hinten an Henry heran. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und schrie in Richtung Haus: »Papa, huhu. – Wir kommen hoch.« Sie winkte, und ihr Vater auf der Veranda winkte zurück.
    Birte durchschritt das schmiedeeiserne Gartentor und lief, an einer frei stehenden, massiven Garage vorbei, Richtung Veranda, zu der ein schmaler, vom Schnee geräumter Weg hochführte. Henry nahm die Reisetaschen und folgte ihr. Einmal blieb Birte kurz stehen, drehte sich um und lächelte ihm zu. Sie sah zufrieden aus und gesund. Ihr Gesicht war voller geworden in den letzten Monaten, runder, was ihr gut stand, wie Henry fand. Sie hatte ein wenig von der antrainierten Muskelmasse abgebaut, seit sie nicht mehr zum Taekwondo ging, vor allem an den Oberarmen und an den Schenkeln, dafür waren ihre Brüste größer geworden. Unter ihrem fersenlangen Wollmantel zeichnete sich deutlich die kleine Kugel ihres Bauches ab. Auch das stand ihr gut. Seit einer Woche wussten sie, der Embryo, der dort seit fünf Monaten wuchs, würde ein Mädchen werden. Auf der Zugfahrt hatten sie sich Namen überlegt, spaßeshalber, so wie sie es in letzter Zeit oft machten.
    Die letzten Meter vor dem Haus kam ihnen Birtes Vater entgegen. Er trug eine karierte Strickjacke über einem hellblauen Hemd, eine dunkle Bundfaltenhose und Hausschuhe aus Leder. Er umarmte seine Tochter, Henry nickte er zu, dann legte

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