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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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er den Arm um Birtes Schulter und führte sie ins Haus. Er war einen Kopf größer als sie und, da Birte und Henry fast gleich groß waren, auch einen Kopf größer als Henry.
    Henry stellte die Taschen auf dem Weg ab, kramte eine Zigarette hervor und begann zu rauchen.
    Er dachte an Bettina, die wahrscheinlich nicht weit von hier entfernt in der Hamburger Innenstadt wohnte. Er kannte ihre genaue Anschrift nicht, wusste nur, dass sie eine kleine Wohnung in Hochschulnähe gefunden hatte. Nur drei Wochen nach dem Ende ihres Griechenlandurlaubs war sie dorthin gezogen, einen Monat vor Beginn des neuen Semesters.
    Braun gebrannt und erholt war Bettina vom Mittelmeer zurückgekommen. Henry hatte sie vom Flughafen abgeholt, er war zerstreut, angefressen von dem Gedanken, ihr die Wahrheit sagen zu müssen: dass er seit fast drei Wochen Birte traf und auch in Zukunft lieber mit ihr zusammen sein wolle, da die Beziehung mit Bettina schon seit Langem stagniere, nicht zuletzt ihrer ständigen Abwesenheit wegen. Letzteres war eine Hypothese, die es ihm erleichtern sollte, den harten Schnitt zu setzen. Es war nicht so, dass ihn Birte drängte, eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu fällen. Doch sie kam immer wieder mit diesen sarkastisch eifersüchtigen Spitzen, und obwohl sie dabei nie wieder so aus der Fassung geraten war wie beim ersten Mal, machte es sie jedes Mal aufs Neue hässlich und ihre Stimme schrill, und Henry ließ es zweifeln, ob Birte tatsächlich die richtige Wahl war. Dem wollte er ein Ende bereiten.
    Sie fuhren mit dem Taxi vom Flughafen in die Stadt, und Henry überlegte, wann der beste Zeitpunkt sei, mit der Sprache herauszurücken, wann Bettina am wenigsten gekränkt und der Schmerz am geringsten sei, den er ihr zufügen musste.
    Er hatte ein kleines Essen vorbereitet, einen grünen Salat, über den er das Dressing goss, nachdem sie zu Hause angekommen waren, einen Auflauf aus Auberginen, Hackfleisch, Tomaten, den er in den Ofen schob. Er goss Bettina ein Glas Wein ein, und sie gab ihm seine Geschenke: einen kleinen Kanister Olivenöl, eine Flasche Ouzo, fein gemahlenes griechisches Mokkapulver. Es war ein schlechter Zeitpunkt, mit dem herauszurücken, was er für die Wahrheit hielt.
    Das traute er sich erst Stunden später, als sie auf dem Balkon saßen und rauchten. In der Küche standen drei leere Weißweinflaschen, und auch ein Drittel des Ouzos fehlte bereits. Henry merkte, dass er endlich betrunken genug war, und er hoffte, Bettina sei es auch. Er zündete sich eine Zigarette an und sagte, dass er dringend mit ihr reden müsse. Die Sache vertrage keinen Aufschub.
    Bettina hörte augenblicklich zu lächeln auf. Sie sah ihn an, und Henry merkte, dass da keine Furcht in ihrem Blick lag. Er hätte gern einen weiteren Ouzo getrunken, und er hätte gern gesagt: Ach, vergiss es. Aber Bettina sah ihn weiter an, unverwandt, während die Sekunden verstrichen und ihr Blick härter wurde und die Augen schmaler und sie endlich sagte: »Na los, komm schon, sag mir, was sich da nicht aufschieben lässt.«
    Sie war bei Weitem nicht so betrunken, wie Henry gehofft hatte. Und das, was er in der folgenden Minute bot, war an Erbärmlichkeit nur schwer zu übertreffen, war mies in Form und Inhalt.
    Er lallte, er stotterte, er zerrte sich all die auswendig gelernten Ausflüchte aus dem Gedächtnis, die nur einen Zweck hatten: die Schuld am Ende der Beziehung Bettina in die Schuhe zu schieben. Kein Wort von Birte, von Überdruss, von Langeweile. Es war der klägliche Versuch, den Betrug, der schon passiert war, im Nachhinein zu objektivieren.
    Als Bettina schließlich türenschlagend die Wohnung verlassen hatte, kam sich Henry vor wie einer der pubertierenden Waschlappen aus den Vorabendserien. Er überlegte, Bettina hinterherzulaufen, sie zu beruhigen. Aber wie? Was konnte er ihr anbieten zum Trost, als Ersatz? Er setzte sich stattdessen in die Küche und trank den Ouzo aus.
    Danach redeten sie noch ein einziges Mal am Telefon, bevor Bettina nach Hamburg ging. Das Gespräch betraf ihren Umzug. Sie wollte nicht, dass Henry in der Wohnung war, wenn sie ihre Sachen holte. Henry sagte, er finde es schade, dass das Ganze auf diese Art zu Ende gehe. Bettina am anderen Ende der Leitung schluchzte kurz, bevor sie mit fester Stimme sagte, so sei das nun mal.
    Der Krähenschwarm kam vom Wasser herübergeflogen und ließ sich auf

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