Kopf Unter Wasser
bäuerlichen Herkunft liegen, vielleicht auch an der sozialistischen Schule, durch die er gegangen war, aber diese Leute bereiteten ihm Unbehagen, und das, obwohl er selbst aussah wie einer von ihnen.
Henry lächelte in die Kamera, die über dem Klingelbrett hing, als Birtes Stimme in der Gegensprechanlage fragte, wer dort sei, und sagte: »Ich binâs.«
»Vorderhaus, dritter Stock. Wenn du den Aufzug nehmen willst, musst du auf den Hof.«
»Ich nehm die Treppe.«
Die Wohnung passte nicht zu Birtes Status, die nach Berlin gezogen war, um bei einer gemeinnützigen Stiftung zu arbeiten, die Entwicklungshilfeprojekte in der Dritten Welt initiierte. Es handelte sich abermals um eine Praktikantenstelle, wenngleich eine bezahlte, die Birte bei 38 Stunden Arbeit in der Woche sechshundert Mark im Monat einbringen werde, wie sie erzählte. Sie saÃen auf einem cremefarbenen Ledersofa und tranken einen Wodka zur BegrüÃung.
»Was kostet die Wohnung denn?«
»Frag bloà nicht«, sagte Birte und winkte ab. »Ich hatte keine Zeit, lange zu suchen, es musste schnell gehen. Vielleicht finde ich demnächst was Billigeres.«
Die Wände waren weià gestrichen, das Licht war warm, unaufdringlich und dennoch hell genug. Möbel gab es nur wenige, neben dem Ledersofa einen alten Esstisch, ein breites Futonbett aus dunkel gebeiztem Holz, samtbezogene Stühle und eine antike Anrichte. Die eine Wand ihres Wohnzimmers bedeckte ein schlichtes weiÃes Bücherregal, das zu einem Drittel gefüllt war. Davor standen Umzugskartons mit den restlichen Büchern und eine Klappleiter.
»Sollen wir das Regal einräumen?«, fragte Henry und stellte sein Glas auf dem Esstisch ab.
»Gut. â Ich geh auf die Leiter, und du reichst mir die Bücher hoch.«
»Irgendein Prinzip, nach dem du sie ordnest?«
Sie brauchten zwei Stunden, dann war das Regal bestückt, und die Kartons lagen zusammengefaltet im Flur. Zwischendurch hatten sie Pizza bestellt und ein Sechserpack Bier.
Es war Mitternacht, als sie in der offenen Wohnungstür standen, um sich zu verabschieden.
Henry sagte: »Wenn du willst, nehm ich die Kartons noch mit runter.«
»Brauchst du nicht. â Morgen Abend kommt jemand von der Spedition vorbei und holt alles ab. â Trotzdem: Danke.«
»Na dann«, sagte Henry, trat einen Schritt in den Hausflur und machte das Licht an.
»Es wäre schön, wenn wir uns jetzt öfter sehen könnten.«
»Finde ich auch«, sagte Henry.
Birte kam ebenfalls in den Hausflur. Sie war nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. »Gibst du mir deine Adresse? â Dann besuche ich dich mal.«
»Ich ruf dich an«, sagte Henry.
»Du wohnst nicht allein, kann das sein?«, sagte Birte und trat in die offene Wohnungstür zurück. Das erste Mal an diesem Abend vibrierte ihre Stimme leicht. Henry, der vergessen hatte, dass sie so klingen konnte, erschrak.
»Doch«, sagte Henry, »das heiÃt: meistens jedenfalls.«
»Und wenn nicht ? â Dann zusammen mit einer Frau, oder wie?«
»Mit Bettina «, sagte Henry und wunderte sich, wie schnell er in die Defensive geraten war.
»Ich würde sie gern mal treffen«, sagte Birte, »deine Bettina .« Ihr Ton war demonstrativ sachlich. »Bring sie beim nächsten Mal einfach mit. â Dann können wir uns einen schönen Abend zu dritt machen.«
»Ich gehe jetzt«, sagte Henry und wandte sich der Treppe zu, »das wird mir zu blöd.« Er hasste es, wenn Menschen sarkastisch wurden. Das waren meist die Grobschlächtigen, für die feinere Ironie Unbegabten. Sarkastische Frauen waren noch schlimmer als sarkastische Männer.
Das Flurlicht ging aus. Henry stieg vier Stufen hinunter, blieb dann noch mal stehen und sah sich um. Birte stand im Licht, das aus ihrer Wohnung fiel. Ihr Gesicht sah irgendwie verzerrt aus, sie hatte rote Flecken auf den Wangen, jegliche Grazie war verloren.
»Tschüss«, sagte Henry, drehte sich um und lief weiter.
»Hau ruhig ab«, rief ihm Birte hinterher.
Am nächsten Morgen klingelte um acht das Telefon. Es war Birte. Sie klang betrübt. Sie stammelte Entschuldigungen in den Hörer. Sie verdächtigte den Wodka, das Bier und den Umzugsstress, ihr Verhalten beeinflusst zu haben. Sie bat Henry, sich am Abend mit ihr zu verabreden, irgendwo drauÃen auf der StraÃe, in einem
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