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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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ist es gut«, sagte die Schwester, »konzentrieren Sie sich auf die Atmung. – So, wie Sie es gelernt haben.«
    Henry trat wieder an Birte heran, um mit dem Abtrocknen fortzufahren.
    Â»Geh raus, verdammt noch mal«, sagte sie, ohne sich umzusehen.
    Â»Aber ich wollte …«, sagte Henry.
    Â»Hau endlich ab, du Arschloch!«
    Â»Jetzt gehen Sie schon«, sagte die Schwester, und nahm Henry das Handtuch ab, »ich mache das für Sie.«
    Es war halb eins, als Henry auf den leeren Stationsflur trat und in seiner Hosentasche nach den Zigaretten kramte. Er ging durch die Eingangshalle, raus in die laue Dunkelheit. Unter dem beleuchteten Fenster des Geburtszimmers, das im zweiten Stock lag, zündete er sich eine Zigarette an. Er hörte Birte schreien, und ihm fiel ein, dass er vergessen hatte, das Fenster wieder zu schließen. Er dachte, dass vielleicht Motten vom Licht angelockt würden oder Mücken, die Birte zusätzlich piesacken könnten. Er ließ seinen Blick an der Hauswand hinabwandern und entdeckte seltsame dunkle Flecken auf dem hellen Putz. Es sah aus, als ob sie sich bewegten. Henry trat an die Hauswand heran, um zu gucken, was es damit auf sich hatte. Die Flecken bewegten sich tatsächlich, es waren Hunderte, möglicherweise Tausende: Es waren Spinnen, ausgewachsene und junge, alle mit behaarten Körpern und langen Beinen. Henry ging ein paar Schritte zurück. Das war das Haus der Spinnen, dachte er, seine Tochter würde im Haus der Spinnen zur Welt kommen. Er versuchte zu erkennen, ob die Spinnen nach oben krochen, in Richtung des Lichts, das aus dem Fenster fiel. Doch das schienen sie nicht zu tun, sie bewegten sich in alle möglichen Richtungen, einige verharrten an ihren Positionen.
    Wieder hörte er Birte schreien. Er warf die Kippe auf den Boden, trat sie aus und nahm sich eine neue Zigarette. Er lief in den Park, den er vom Fenster aus gesehen hatte und der sich lediglich als baumbestandene Grünfläche zwischen vier zweistöckigen Gebäuderiegeln herausstellte. Bis auf das Fenster des Geburtszimmers war alles dunkel.
    Henry hörte wieder einen Schrei, und er hoffte, dass er diesmal von der anderen Frau stammte, die in dieser Nacht entbinden sollte, und kurz darauf hörte er noch einen Schrei, und er wusste, dass beide Schreie von Birte stammten, und er ging los, weg von den Gebäuden, der Kies knirschte unter seinen Schuhen, was verhinderte, dass ein weiterer Schrei in seine Ohren dringen konnte, er rannte auf ein Wäldchen zu, er durchquerte es und lief noch weiter, und er blieb erst stehen, als er am Wasser angekommen war, wo es nicht weiterging, an der Havel, deren Wellen rhythmisch gegen das Ufer schwappten. Henry setzte sich ins warme Gras, er erkannte einen kleinen Jachthafen, er sah die angetäuten Boote schaukeln. Dann ließ er sich nach hinten fallen und schaute eine Weile in den Sternenhimmel, er schloss die Augen und lauschte. Es waren vielleicht vierhundert Meter bis Haus 13, höchstens fünfhundert. Er fragte sich, ob ein Schrei Birtes das Plätschern des Wassers übertönen könnte.

18.
    Henry wachte kurz nach drei wieder auf, vor dem Sternenhimmel hingen ein paar Wolkenfetzen.
    Â»Wollen Sie einen Kaffee, junger Mann?«, fragte die Schwester, als er auf den Stationsflur einbog. »Sie sehen müde aus.«
    Â»Ist das Kind schon da?«
    Â»Das nicht, aber Sie haben den Blasensprung verpasst, und auf dringenden Wunsch Ihrer Frau haben wir eine PDA gemacht, eine lokale Anästhesie, was bedeutet, dass sie erst mal keine Schmerzen mehr spürt. – Aber wo haben Sie bloß gesteckt?«
    Â»Ich war spazieren. Am Wasser. – Diese Sache vorhin im Bad …«
    Â»Ich kann das verstehen. – Aber Sie sollten auch Ihre Frau verstehen. Sie hat sie rausgeschickt, weil sie so nicht von Ihnen gesehen werden wollte: leidend, hilflos. Keine Frau will das, bloß die wenigsten trauen sich, das zu sagen. Von daher können Sie stolz auf Ihre Frau sein.«
    Â»Bin ich ja.«
    Â»Was ist: Kaffee oder nicht?«
    Â»Ja, bitte.«
    Â»Milch? Zucker?«
    Â»Schwarz.«
    Â»Dann gehen Sie ins Zimmer zu Ihrer Frau. Ich bringe Ihnen den Kaffee.«
    Birte lag im Bett. Sie lächelte, als Henry hereinkam.
    Â»Wie geht’s?«
    Â»Ganz gut.«
    Â»Die Schwester hat mir von der PDA erzählt«, sagte Henry.
    Â»Ich habe dich vermisst.«
    Â»Ich war draußen. –

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