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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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Gleich hinterm Haus fließt die Havel.«
    Â»Jetzt steh nicht so rum. Setz dich aufs Bett, oder nimm dir den Stuhl da«, sagte Birte.
    Henry setzte sich auf den Stuhl und sah zum Fenster: Es war geschlossen. Er suchte mit den Augen die Gegend um das Fenster ab, dann die Wände, dann die Zimmerdecke. Er konnte keine Spinne entdecken.
    Â»Was ist los?«, fragte Birte.
    Â»Nichts.«
    Die Schwester kam herein und brachte den Kaffee.
    Sie wandte sich an Birte: »Und bei Ihnen? Alles gut?«
    Â»Meine Beine sind taub«, sagte Birte.
    Â»Keine Angst, das Gefühl kommt wieder.« Sie sah auf die Uhr: »Ich würde sagen, in einer halben bis Dreiviertelstunde. Dann sollten wir bereit sein.«
    Sie sah Henry an: »Genau, junger Mann, dann holen wir Ihre Tochter auf die Welt«, und sagte zu Birte: »Ich bring Ihnen noch ein paar Globuli, die Sie sich unter die Zunge legen. – Jetzt kommt’s aufs Timing an. – Und wenn Sie Glück haben, setzen die Presswehen ein, wenn die Betäubung noch nicht vollständig abgeklungen ist.«
    Â»Und was heißt das?«, fragte Henry.
    Â»Es wird Ihrer Frau Schmerzen ersparen.«
    Plötzlich ging alles ganz schnell: Birte nahm die Globuli und schlief kurz darauf ein. Henry begab sich mit einem Kaffee nach unten, rauchte und beobachtete die Spinnen. Dann stieg er wieder hoch, sah nach Birte, die, auf der Seite liegend, noch immer schlief. Er bat die Schwester um einen weiteren Kaffee, ging wieder runter und rauchte zwei weitere Zigaretten. Er sah auf die Uhr: zehn nach vier, der Himmel war dunkelblau, gleich würde die Sonne aufgehen. Als zehn Minuten später die Vögel zu singen begannen, ging Henry ins Gästebad, um sich das Gesicht zu waschen. Dann betrat er das Geburtszimmer.
    Birte war wach, sie lächelte. Die Schwester stand neben dem Bett und verband Birtes Bauch mit dem CTG.
    Â»Der Muttermund ist jetzt komplett geöffnet«, sagte sie.
    Unter Birtes hochgerutschtem Nachthemd sah Henry zufällig eine improvisierte Windel aus Mull und Heftpflaster.
    Â»Gucken Sie woandershin«, herrschte ihn die Schwester an, »und gehen Sie ans Kopfende!«
    Sie stellte den Apparat an, und Henry setzte sich auf die Bettkante neben Birtes Kopf. Er nahm ihre Hand und starrte wie schon früher in der Nacht auf die LED-Anzeige.
    Die Schwester verließ das Zimmer und kehrte kurz darauf mit einem Wagen zurück, auf dem verschiedene Geburtsinstrumente lagen.
    Sie kontrollierte die Anzeige, dann fragte sie Birte: »Merken Sie schon was?«
    Â»Ja, aber es tut nicht weh.«
    Â»Sie sind ein Glückskind«, sagte die Schwester, »ich hole die Frau Doktor.«
    Â»Sind das die Presswehen?«, fragte Henry.
    Â»Ja«, sagte Birte, »gleich kommt unsere Tochter.«
    Â»Ja«, sagte Henry und wünschte, in einer Zeit zu leben, die Männer nicht zwang, der Geburt ihrer Kinder beizuwohnen. Es gab da eine Geschichte von Hemingway, in der sich ein Mann in einer Kneipe betrank, während seine Frau im Krankenhaus das Kind entband. Aber irgendwas war dann schiefgegangen in der Geschichte.
    Diesmal kam die Schwester in Begleitung der Hebamme und der diensthabenden Ärztin herein.
    Die drei Frauen begaben sich in Position, Henry hielt Birtes Hand. Jetzt war es die Hebamme, die Anweisungen gab. Birte presste, Henry sah es an ihrem Gesicht, er spürte es am Druck ihrer Hand. Er wagte nicht, dorthin zu sehen, wo gleich das Baby erscheinen würde. Die Ansagen der Hebamme waren kurz und präzise, in einer anderen Situation hätte Henry sie als rüde empfunden, hier waren sie beruhigend. Birte atmete, presste, legte eine Pause ein. Bei der dritten Wiederholung dieser Abfolge sagte die Hebamme: »Sie kommt.«
    Â»Das ist ja toll«, sagte die Ärztin, »sie ist ganz schwarz.«
    Henry sah jetzt doch hin, und das, was er sah, musste Johannas Kopf sein und das Schwarze, das darauf klebte, die Haare.
    Â»Ich hab den Kopf gesehen«, sagte Henry zu Birte.
    Â»Einmal noch, dann haben Sie’s geschafft«, sagte die Hebamme.
    Dann war Johanna draußen, und Henry hörte sie nicht schreien, was aber an seiner Aufregung liegen mochte, und Birte, die eigentlich die Nabelschnur hatte durchtrennen wollen, kam nicht heran, sodass die Schwester ihm die Schere hinhielt.
    Henry zögerte einen Moment. »Nun machen Sie schon!«, sagte die Schwester. Es fühlte sich an, als wenn man einen

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