Kopf Unter Wasser
Gummischlauch durchschnitt.
Henry sah die geschlossenen Augen seiner Tochter, die Nase und den Mund.
Die Hebamme nahm Johanna, legte sie Birte auf die nackte Brust. Sie deckte die beiden zu und forderte Henry auf, auch seine Hände unter die Decke zu stecken. Das sei eine Art der frühkindlichen Bindung, die dem Kind das Grundvertrauen in die Eltern gebe. Henry glaubte das zwar nicht, tastete aber dennoch vorsichtig nach dem Kopf seiner Tochter.
So lagen sie eine Weile da, schweigend und erschöpft. Einmal wachte Johanna auf, und Birte musste lachen, weil Johannas suchender Mund ihre Brust kitzelte.
»Ich glaube, sie trinkt«, sagte Birte.
Irgendwann kam die Schwester, nahm Birte das Baby von der Brust, wog es, maà Länge und Kopfumfang. Sie zog es an, setzte ihm eine Wollmütze auf den Kopf und drückte es Henry in den Arm, der nicht wusste, wie er es anfassen sollte.
»Halten Sie ihr den Kopf hoch!«, sagte die Schwester und zu Birte: »Können Sie aufstehen? Meinen Sie, dass Sie laufen können? Sonst hol ich einen Rollstuhl.«
»Ich versuche es.«
»Gehen Sie vor«, sagte die Schwester zu Henry, »Zimmer 106, es ist sonst keiner drin.« Sie half Birte, sich aufzusetzen.
Henry lief, Johanna an die Brust gepresst, mit der linken Hand ihren Kopf stützend, über den Flur, als bestünde der aus rohen Eiern. In Zimmer 106 standen vier leere Betten. Henry wagte nicht, Johanna abzusetzen, seine Arme begannen sich zu verkrampfen. Während er versuchte, locker zu werden, schlug Johanna die Augen auf, er fragte sich, ob sie ihn in Schwarz-Weià sah oder verkehrt herum. Er lächelte sie an, und Johanna machte die Augen wieder zu.
Birte winkte schlapp, als die Schwester den Rollstuhl ins Zimmer schob. Die Schwester half ihr, sich hinzulegen, dann nahm sie Henry das Baby ab und legte es neben das Gesicht seiner Mutter.
»Ihre Tochter ist ein Sonntagskind«, sagte sie, »aber jetzt sollten Sie die beiden in Ruhe lassen.«
»Darf ich fotografieren?«
»Na klar, aber beeilen Sie sich.«
»Die Kamera ist in der Tasche, im Bad«, sagte Birte.
Im Geburtszimmer stand ein Putzwagen, zwei Frauen zogen gerade das Bett ab.
»Ich hab was vergessen.« Henry ging weiter ins Bad. Auf dem Rückweg fiel ihm zum ersten Mal die riesige Blutlache auf dem Boden auf.
Birtes Augen sahen so rot aus, als wären sie entzündet, in ihrem Gesicht waren Kapillaren geplatzt. Henry schoss ein Dutzend Fotos, dann forderte ihn die Schwester auf zu gehen.
»Fahr nach Hause«, sagte Birte, »ich will schlafen.«
»Morgen komm ich wieder, und ich sag deinen Eltern Bescheid.«
»Und ruf Cynthia an«, sagte Birte, »ich liebe dich.« Noch ehe Henry aus der Tür war, fielen ihr die Augen zu.
DrauÃen vor Haus 13 zündete er sich eine Zigarette an und schlenderte langsam Richtung Ausgang. Es war kurz nach neun, und trotzdem brannte die Sonne schon heià vom Himmel. Die Vögel sangen, Leute liefen auf dem Gelände herum. Henry überlegte, ob er sich ein Taxi rufen solle, setzte sich dann aber an die Bushaltestelle und rief erst Cynthia an, dann Birtes Eltern und schlieÃlich seine eigenen. Cynthia reagierte mit hysterischer Freude und bat um die Adresse der Klinik. Henry sagte, sie solle Birte etwas Ruhe gönnen und sie erst am nächsten Tag besuchen.
Birtes Mutter sagte, sie säÃen gerade am Frühstückstisch, sie grüÃe ihn herzlich von ihrem Mann. Sie würden sofort ein Hotelzimmer buchen und kämen morgen nach Berlin.
Henrys Mutter sagte, der Vater sei gerade auf dem Feld, sobald er zurückkomme, würden sie beide eine Flasche Sekt öffnen und auf Johanna, Birte und ihn anstoÃen.
Mit dem Bus fuhr Henry zum Messegelände und von dort mit der Ringbahn nach Hause, wo er bis zum späten Nachmittag schlief. Dann machte er sich frisch, rief eine Handvoll Freunde an und lud sie für den Abend in eine Bar ein, um das Ereignis mit ihm zu feiern. Am nächsten Morgen besorgte er Obst, Fruchtsäfte, einen Blumenstrauà und fuhr wieder raus in die Klinik. Bevor er Haus 13 betrat, ging er zu der Stelle unter dem Fenster des Geburtszimmers, wo er vorletzte Nacht die Spinnen beobachtet hatte. Sie waren nicht mehr da, auch auf dem Boden konnte er keine entdecken.
In Zimmer 106 waren Peter und Cynthia zu Besuch. Cynthia schwärmte die ganze Zeit von Johanna und wie sehr sie Birte bewundere,
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