Kopf Unter Wasser
Informationsrundgang im Frühjahr war sie Henry vorgekommen wie eine esoterische Jugendherberge. Die Möbel waren aus Kiefernholz gezimmert, die Wände orangefarben gewischt, Salzkristalllampen spendeten warmes Licht. Die Maschinen zur Lebensrettung standen in einem separaten Raum, sie waren abgedeckt mit Tüchern aus Batikstoff, man schob sie erst herein, wenn sie gebraucht wurden.
»Sie eingerechnet, sind heute nur zwei Frauen hier«, sagte die Schwester, während sie Birtes Bauch verkabelte und mit dem CTG verband. Birte lag auf einer Pritsche, sie trug ein Krankenhausnachthemd. Henry stand am Kopfende der Pritsche, hielt ihre Hand und starrte auf die LED-Anzeige des Apparates, der den Herzschlag seiner Tochter maÃ. Sie hatten sich bereits auf einen Namen geeinigt, sie würde Johanna heiÃen, so wie die GroÃmutter von Birtes Vater.
Die Schwester tastete Birtes Bauch ab.
»Sind das Senkwehen oder Eröffnungswehen?«, fragte Henry.
»Eröffnungswehen natürlich. Der Muttermund hat sich bereits zwei Zentimeter geweitet. â Wir beobachten jetzt eine Weile den Herzschlag, und dann sehen wir weiter.«
Eine halbe Stunde später bezogen sie das Geburtszimmer, einen dreiÃig Quadratmeter groÃen Raum, in dem es nach Räucherstäbchen roch. Henry öffnete das Fenster, das auf einen dunklen Park hinausging.
Die Schwester fragte, ob Birte ein Bad nehmen wolle, zur Entspannung und um sich ein wenig zu entkrampfen.
»Ja«, sagte Birte.
Henry hatte den Eindruck, schon normales Atmen strenge sie jetzt an.
»Ich tue ein paar Kräuter ins Wasser«, sagte die Schwester und verschwand im angrenzenden Bad, von wo man kurz darauf das Wasser einlaufen hörte.
Als Birte in der dreieckigen Wanne lag, das Gesicht gerötet vom warmen Wasser, die Augen geschlossen und tief atmend, hatte Henry, der auf dem Wannenrand saà und nicht wusste, wann es weitergehen würde und wie, nur einen Wunsch: drauÃen, im Park vor Haus 13, auf einer Bank zu sitzen und zu rauchen und erst zurückzukommen, wenn Johanna geboren war.
»Ich glaube, es geht los«, sagte Birte mit entsetztem Gesichtsausdruck, nachdem sie zwanzig Minuten im Wasser gelegen hatte. Sie versuchte aufzustehen, lieà sich aber wieder in die Wanne zurückgleiten.
»Was?«, fragte Henry. »Was geht los?«
»Die Wehen«, sagte Birte und schrie auf. Ihr Gesicht war verzerrt. Sie japste. »Hol die Schwester, Henry, hol bitte die Schwester.«
»Komm da erst mal raus«, sagte Henry und hielt ihr die Hand entgegen.
»Du sollst die verdammte Schwester holen, ich brauche was gegen die Schmerzen.« Sie krümmte sich im Wasser, die Hände am Wannenrand festgekrallt.
Henry rannte aus dem Bad, durch das Geburtszimmer auf den Stationsflur. Er wusste nicht, wo die Schwester war. Er versuchte es blind an zwei Türen, die eine war abgeschlossen, hinter der anderen befanden sich die Maschinen.
Er rief nach der Schwester, die nach dem zweiten Versuch aus der Teeküche kam. Sie ging zügigen Schrittes ins Bad, wo Birte noch immer im Wasser lag.
»Nehmen Sie meine Hand, und dann stehen Sie langsam auf.«
»Ich kann nicht«, wimmerte Birte.
»Jetzt reiÃen Sie sich bitte zusammen! â Ihr Mann wird Ihre rechte Hand nehmen, und wir ziehen Sie hoch. Dann trocknen wir Sie ab, und Sie legen sich ein bisschen hin.«
»Ich will nicht.«
»Sie müssen «, sagte die Schwester, packte ihre Hand und zog daran.
Henry nahm ihren anderen Arm, und gemeinsam zogen sie Birte aus der Wanne.
»Nehmen Sie ein Handtuch, und trocknen Sie ihr den Rücken ab«, sagte die Schwester.
Henry lieà Birtes Arm los und entfaltete ein weiÃes Frottiertuch, um es um ihre Schultern zu legen. Sie bot ein Bild des Jammers, wie sie da stand, nackt, leicht in den Knien eingeknickt, tropfend, schlotternd und mit diesem riesigen Bauch. Er wollte nicht wissen, wie sie in kaltem Licht ausgesehen hätte.
Henry begann vorsichtig, Birtes Rücken abzureiben. Ein Zucken ging durch ihren Körper, und sie schrie abermals auf. Er lieà das Handtuch sinken und trat einen Schritt zurück.
»Beugen Sie sich nach vorne«, sagte die Schwester, »stützen Sie sich auf der Heizung ab. Atmen Sie, wie Sie es gelernt haben.«
Birte befolgte ihre Anweisung. Sie beruhigte sich ein wenig, ihr Atem wurde wieder langsamer, und sie jammerte nur noch leise vor sich hin.
»So
Weitere Kostenlose Bücher