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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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Vater zu Hause blieb. Die Dörfer am Straßenrand waren dunkel, Johanna schlief in der Babyschale.
    Seine Eltern warteten trotz der Kälte in der offenen Haustür und winkten. Henry sah, dass die Mutter einen kleinen Blumenstrauß in der Hand hielt. Er bezahlte, der Taxifahrer lud den Kinderwagen und die beiden Reisetaschen aus. Während Henry noch auf der dunklen Dorfstraße den Wagen auseinanderklappte, ging Birte schon mit der Babyschale zum Haus. Als sie vor Henrys Eltern stand, deutete sie einen Knicks an. Die Mutter überreichte ihr die Blumen, während der Vater die schlafende Johanna betrachtete. Dann verschwanden alle im Haus.
    Henry stellte die Reisetaschen in den Kinderwagen und schob ihn vor die Haustür. Er zündete sich eine Zigarette an und lief fünf Minuten die Dorfstraße hoch und wieder zurück: Alle Rollläden waren runtergelassen, ein paar Hunde bellten.
    Im Haus roch es nach Essen, nach gebratenem Fleisch. Während er sich die Schuhe auszog, fiel Henry auf, dass im gesamten Flur die weiße Farbe der Raufasertapete auf Hüfthöhe abgerieben war. Aus dem Obergeschoss hörte er, wie sich Birte und seine Mutter unterhielten.
    Der Vater saß im Wohnzimmer auf der Couch und sah fern. Auf dem Couchtisch standen zwei Flaschen Bier und zwei Gläser.
    Â»Ich dachte mir, du willst auch eines«, sagte er zu Henry, der im Türrahmen stehen geblieben war.
    Â»Ja, danke. – Gleich.«
    Sein Vater zeigte auf den Fernseher, wo gerade Werbung lief: »Stell ruhig was anderes ein, ich seh sowieso nicht richtig hin.«
    Â»Ich weiß«, sagte Henry, »ich geh erst mal gucken, was Johanna macht.«
    Â»Ja, die Kleine«, sagte sein Vater, »die hat’s gut: Die schläft.« Er wendete sich wieder dem Fernseher zu.
    Â»Was meinst du, Henry«, fragte seine Mutter, die die Betten bezog, als er in der Tür seines alten Kinderzimmers stand, »sollen wir heute im Wohnzimmer essen, wo wir Besuch haben?«
    Durch das offene Fenster wehte kalte Luft herein.
    Â»Machen Sie sich meinetwegen keine Umstände«, sagte Birte und deckte Johanna zu, die in einer alten, speckig aussehenden Holzkinderwiege schlief.
    Â»Da haben noch deine Cousinen dringelegen«, sagte Henrys Mutter, als sie seinen Blick bemerkte, »Tante Ingrid hat sie all die Jahre in der Scheune gehabt.«
    Â»Was gibt’s denn zu essen?«, fragte Henry.
    Â»Buletten und Bratkartoffeln.«
    Â»Dafür könnte ich sterben«, sagte Birte.
    Â»Also hör bitte kurz zu, Henry«, sagte seine Mutter, »Birte schläft in deinem alten Bett, und für dich stellen wir die Klappliege auf. Die soll der Vater nach dem Essen aus dem Keller holen.«
    Â»Ich kann auch auf dem Boden schlafen.«
    Â»Du könntest die Klappliege auch selber aus dem Keller holen«, sagte Birte.
    Â»Sie sehen ja selbst«, sagte die Mutter und deutete vage ins Zimmer, »es ist alles ein bisschen eng bei uns. – Eigentlich sind wir gar nicht auf Besuch eingerichtet.«
    Â»Klein, aber gemütlich.«
    Â»So kann man es auch nennen«, sagte Henry.
    Â»Fertig.« Seine Mutter schüttelte das letzte Kissen in den frischen Bezug.
    Birte schloss das Fenster, Henry löschte das Licht. Die Tür ließen sie einen Spaltbreit auf, um Johanna hören zu können, falls sie schrie.
    Unten setzte sich Henry zu seinem Vater in die Stube und sah mit ihm die Boulevardnachrichten an. Birte streckte kurz den Kopf zur Tür herein und verschwand wieder. Henry fiel ein, wie er sich damals im Haus von Birtes Eltern gefühlt hatte. Seit Johannas Geburt hatte sich das Verhältnis zu ihrem Vater ein wenig entspannt, der jetzt die Fragen nicht mehr aussprach, die ihm unter den Nägeln brannten. Er machte seiner Tochter zuliebe gute Miene zu einem Spiel, das er vermutlich dennoch missbilligte.
    Henry nahm sein Bier, zog im Flur seinen Mantel an, schlüpfte in die Holzpantinen seines Vaters und ging nach draußen. Er zündete sich eine Zigarette an und betrat durch die Toreinfahrt den Hof. Er ging zu den Ställen, wo er das Schwein leise grunzen hörte, er lief bis zum Acker seines Vaters, der um diese Jahreszeit brachlag. Die Luft war trocken, der Himmel klar, gewölbt und von Sternen übersät. Henry drehte sich wieder dem Haus zu und sah im erleuchteten Küchenfenster Birte am Büfett lehnen, während seine Mutter am Herd in den Pfannen schabte.

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