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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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tragende Rolle in seinem nächsten Buch zu geben.
    Henry hätte auf den gemeinsamen Besuch bei seinen Eltern gut verzichten können, aber Birte, die es merkwürdig fand, dass seine Eltern ihr Enkelkind noch kein einziges Mal gesehen hatten, obwohl es bereits ein halbes Jahr auf der Welt war, hatte darauf bestanden.
    Seine Eltern kannten Johanna nur von Fotos, die Henry ihnen mit der Post schickte. Zwar versicherte er Birte, dass sie sich trotzdem über Johanna freuten, aber er sah ihr, deren Eltern mittlerweile alle paar Wochen nach Berlin kamen, an, dass sie ihm nicht glaubte.
    Einmal nur hatte Birte mit Henrys Mutter telefoniert. Henry war gerade dabei gewesen, die schreiende Johanna im Fliegergriff zu wiegen, als es klingelte. Birte nahm den Hörer ab, und während Henry mit seiner Tochter durch die Wohnung spazierte, registrierte er nebenbei den bedrohlichen Klang, den Birtes Stimme im Laufe des Telefonats annahm. Sie sprach schnell und gestikulierte mit der freien Hand.
    Als er ein weiteres Mal an ihr vorbeigehen wollte, hörte sie mitten im Satz zu reden auf, hielt ihm den Hörer hin und sagte: »Hier!«
    Â»Wer ist denn dran?«
    Â»Das wirst du schon merken.«
    Henry übergab ihr Johanna und nahm den Hörer, an dessen anderem Ende seine verschüchterte Mutter war. Seitdem rief sie nicht mehr von sich aus an, sondern wartete, dass er sich meldete.
    Â»Meine Eltern fahren nicht mehr weg«, sagte Henry, »ich kann das auch nicht ändern. Die sind vollkommen anders als deine.«
    Â»Dann müssen wir zu ihnen fahren. – Kannst du das bitte organisieren? Mir wäre die zweite Dezemberwoche recht.«
    Wider Erwarten freute sich sein Vater, als Henry fragte, ob sie für ein paar Tage vorbeikommen könnten. Die schlechte Luft in dieser Jahreszeit führe bei vielen Babys zu Anfällen von Pseudokrupp, weshalb sie ab und zu aufs Land rausmüssten. Wenn dichte Wolken den Himmel bedeckten, fühle es sich manchmal an, als lebe man in einem geschlossenen Topf, in dem das Essen angebrannt sei.
    Apropos, sagte sein Vater und schlug vor, die traditionelle Schlachtung des Hausschweins vom Januar auf ihre Besuchswoche im Dezember vorzuziehen. »Dann sieht das Kind mal, woraus die Wurst ist.«
    Â»Das Kind ist gerade ein halbes Jahr alt, und es wird noch gestillt.«
    Â»Macht nichts«, sagte sein Vater, und damit war die Schlachtung beschlossene Sache.
    Â»Wenn ich nicht dabei sein muss, ist es mir egal«, sagte Birte, als ihr Henry von der Schlachtung erzählte, und verdrehte die Augen. »Du weißt, dass ich jahrelang Vegetarierin war.«
    Â»Aber du isst doch längst wieder Fleisch.«
    Â»Das ist doch nicht das Thema.«
    Â»Und was ist das Thema?«
    Â»Dass du Entscheidungen triffst, ohne mich vorher zu fragen.«
    Â»Die Entscheidung hat mein Vater getroffen«, sagte Henry.
    Â»Es geht doch hier nicht ums Schlachten«, sagte Birte, »das ist doch nur ein Beispiel von vielen.«
    Â»Und was ist dann das Problem?«
    Â»Das Problem ist, dass du dich in exakt jeder Situation so verhältst wie in diesem Beispiel.«
    Â»Was denn für Situationen, verdammt?«
    Â»Immer wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen, die uns beide betrifft.«
    Â»Okay, okay«, sagte Henry, »beruhige dich, ich werd versuchen, die Sache abzublasen.«
    Â»Wie? – Den Besuch?«
    Â»Nein, nur die Schlachtung.«
    Â»Das geht nicht, Henry. Das kannst du deinem Vater nicht antun«, sagte seine Mutter, als er vorschlug, auf die Schlachtung zu verzichten. »Er hat den Tierarzt bestellt, und Tante Ingrid und Onkel Erwin wollen helfen kommen. – Tu ihm das nicht an, Henry«, sagte seine Mutter, »er freut sich darauf wie ein kleines Kind.«
    Â»Ich kann das Schlachten nicht absagen«, sagte Henry am nächsten Tag, »das würde meinem Vater das Herz brechen. – Er freut sich ein ganzes Jahr auf diesen einen Tag, und er hat den Tag uns zu Ehren verlegt.«
    Â»Kein Problem«, sagte Birte, »es ging auch nicht um Fleisch oder nicht Fleisch oder um das Schlachten selbst. Es ging darum, dass du, ohne mich zu fragen, entschieden hast.«
    Â»Und jetzt plötzlich ist wieder alles okay?«
    Â»Ja.«
    Â»Und warum?«
    Â» Da rum.«
    Der Regionalexpress kam am späten Nachmittag an, und sie fuhren mit dem Taxi vom Bahnhof der Kreisstadt ins Dorf. Henry hatte darauf bestanden, dass sein

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