Kopf Unter Wasser
Schnaps.
Der Vater und Onkel Erwin zerlegten die Schweinehälften mit Beilen und einer Eisensäge. Mit Fleischermessern schnitten sie Koteletts und Filets, Gulasch, Rippchen und Bratenstücke, die Henrys Mutter und Tante Ingrid in Gefrierbeutel verpackten und beschrifteten. Kleinere Fleisch- und Fettreste wanderten in den Fleischwolf, den Henry bediente.
Sie arbeiteten schweigend. Ab und zu rauchten Henry oder sein Onkel eine Zigarette, oder jemand schenkte eine Runde Schnaps aus, der jetzt nicht nur gegen die Kälte half, sondern auch den penetranten Geruch des Schweinefetts erträglicher machte. Henry hatte kalte schmierige Hände und keine Lust mehr auf die Arbeit. Er sorgte sich um Birte und Johanna, es war fast vier, beinahe dunkel, und Birte kannte sich nicht aus in der Gegend.
Um halb fünf ging Henry rüber zum Haus und sah sofort den Kinderwagen neben der Tür. Er wusch sich die Hände, dann stieg er nach oben, klopfte, und da keine Antwort kam, drückte er vorsichtig die Klinke. Johanna, die auf Birtes Bauch lag, drehte den Kopf zu ihm, und als sie ihn erkannte, lächelte sie. Dann wandte sie sich wieder Birtes Brust zu und trank.
»Wie gehtâs?«
»Mir geht es gut, und dir?«, sagte Birte in gereiztem Ton.
Henry wollte Johanna den Kopf streicheln, aber Birte sagte: »Fass sie nicht an, du stinkst.«
Henry zog die Hand zurück.
»Ãbrigens: Ich fahre morgen nach Berlin zurück.«
»Wir wollten doch eine ganze Woche bleiben«, sagte Henry.
»Du kannst ja gern noch bleiben, bei deiner richtigen Familie. â Aber ignorieren lassen kann ich mich auch in Berlin, und in Berlin kann ich auÃerdem zu Cynthia und Peter gehen, wenn ich keine Lust mehr habe, mich ignorieren zu lassen.«
»Jetzt mach mal halblang«, sagte Henry, »du kannst doch nicht einfach â¦Â«
»Ja? â Was kann ich nicht einfach?«, sagte Birte nach ein paar Sekunden, in denen Henry den angebrochenen Satz nicht zu Ende geführt hatte.
»Ach nichts.«
Birte sagte, dass sie nicht am Abendbrot teilnehme, von dem ganzen Fleisch bekomme sie ohnehin keinen Bissen herunter. Henry könne ihr ein wenig Brot, Käse und Obst nach oben bringen.
»Kann ich wenigstens Johanna mit nach unten nehmen? â Meine Eltern müssen ja denken, dass du sie ihnen mit Absicht vorenthältst.«
»Das kannst du vergessen«, sagte Birte, » ich muss sie stillen, füttern und ihr die Windeln wechseln, und du willst dich dann abends mit ihr schmücken.«
»Birte hat Fieber, du kannst in der Küche decken«, sagte Henry zu seiner Mutter, die Kartoffeln briet. In einem groÃen Topf mit Bouillon simmerte fettes Wellfleisch auf kleiner Flamme, in einer zweiten Pfanne brutzelten Buletten in schäumender Butter.
»Die Ãrmste«, sagte Henrys Mutter.
»Sie hat sich ins Bett gelegt, und Johanna schläft auch schon. â Und deswegen fahren wir schon morgen zurück nach Berlin.«
»Morgen?« Die Mutter sah ihn bestürzt an. »Gefällt es ihr nicht? Ist es da oben zu eng für euch drei? â Ich kann auch ein Bett in der Stube herrichten.«
»Nein, Mutter, alles in Ordnung. â Wir wollen bloà auf Nummer sicher gehen.«
»Aber so eine Reise ist doch anstrengender, als wenn sie sich hier ein paar Tage ausruht. â Ich könnte mich um die Kleine kümmern. Und Ingrid hätte bestimmt auch nichts dagegen.«
»Lass uns morgen weitersehen«, sagte Henry, »es wäre nett, wenn du ein paar Brote machen könntest, möglichst ohne Wurst. Und vielleicht einen Apfel dazu und eine Flasche Wasser. â Damit Birte was essen kann, wenn sie aufwacht. Ich bring es ihr dann hoch.«
Als Henry den Teller mit den Broten auf dem Schreibtisch abstellte, tat Birte, als schliefe sie. Aber auch er hatte keine Lust, sich mit ihr zu unterhalten. Er war sauer, weil sie genau das tat, was er sich nie trauen würde: eine unangenehme Situation zu beenden, indem man einfach aus ihr heraustrat. Das war ein pragmatischer Egoismus, zu dem er nicht fähig war, weil er mögliche Konsequenzen berücksichtigte.
Henry zog die Decke über die Schultern der schlafenden Johanna und ging nach unten, wo seine richtige Familie um den Küchentisch versammelt saÃ, trank, sich Geschichten von früher erzählte und wartete, dass er dazukam und sie endlich mit dem Essen beginnen könnten.
Nicht einmal
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