Kopf Unter Wasser
mit ihren dämlichen Streitereien auseinandersetzte.
Also verzichtete er auf die Vernissagen und die Artikel darüber und versuchte sich stattdessen an kleineren Texten, die ähnlich aufgebaut waren wie seine früheren Kolumnen, wobei er jetzt nur noch zwei Themen variierte: ein undeutliches Berlingefühl und Beziehungsprobleme.
In guten Monaten brachte er drei bis vier Artikel unter, in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen, in Lokalblättern, neuerdings auch exklusiv im Internet, wofür es noch weniger Geld gab. In schlechten Monaten konnte er keinen einzigen Text verkaufen, und oft musste er obendrein dem Honorar hinterherlaufen. Das Geld, das er mit den Artikeln verdiente, half immerhin, das rasante Schwinden des Vorschusses zu bremsen. Insgeheim hoffte er auf die Ersparnisse, die Birte einmal erwähnt hatte, obwohl er nie einen Kontoauszug gesehen hatte oder sonst einen Beleg.
Was in Birte vorging in dieser Zeit, was sich hinter ihrem schlecht gelaunten Gesicht verbarg, was überhaupt dazu geführt hatte, dass ihr Gesicht jetzt ständig so aussah, konnte Henry nicht sagen.
Wenn Johanna schlief, saà sie meist vor dem Fernseher oder lag halb bekleidet auf ihrem Bett und las. War Johanna wach, packte sie das Baby im besten Fall in den Kinderwagen und unternahm einen Spaziergang, von dem sie lange nicht zurückkam. Hatte Henry Pech, blieb sie in der Wohnung, trug Johanna hin und her, klopfte alle paar Minuten an seine Tür, um zu erzählen, was Johanna gerade eben gemacht hätte, oder um ihn zu bitten, sich kurz selbst um seine Tochter zu kümmern.
Ansonsten traf sie sich mit Frauen, die sie in der Krabbelgruppe kennengelernt hatte, in der Stillgruppe und bei der Rückbildungsgymnastik. Sie war oft bei Cynthia und Peter zu Besuch.
Gewöhnlich begannen Auseinandersetzungen zwischen ihnen ohne Grund, eine kleine Stichelei, eine sarkastische Bemerkung, ein Grinsen, ein verzogener Mundwinkel reichten. Irgendwann überschlug sich Birtes Stimme, die Türen flogen, und Henry zog sich auf sein Zimmer zurück, in dem kurz darauf Birte auftauchte, um sich mit ihm zu vertragen, um die Sache noch einmal in Ruhe zu besprechen. Meist wusste Henry dann schon gar nicht mehr, worum es gegangen war, denn das ursprüngliche Streitthema spaltete sich in Minutenschnelle in hundert neue auf, die plötzlich alle nebeneinander existierten und Beachtung verlangten, aber mit dem Zuschlagen der Arbeitszimmertür so schnell wieder aus seinem Kopf verschwanden, wie sie gekommen waren. Birte dagegen konnte sich an alles erinnern. Sie zitierte ganze Passagen, die er angeblich von sich gegeben hatte. Henry reagierte mit Schulterzucken, Birte warf ihm Gleichgültigkeit vor und Desinteresse, Henry sagte, damit habe sie gar nicht mal so unrecht. Im Abgang warf Birte abermals die Tür, und mit deren Knall vergaà Henry erneut, worum es gegangen war.
22.
»Sie haben also bis jetzt keinen Unterhalt gezahlt«, sagte die Frau vom Jugendamt und sah Henry an, als hätte er einer alten Dame die Handtasche geklaut, »habe ich das richtig verstanden?«
»Nein, Herrgott, das haben Sie nicht«, sagte Henry, »jetzt zum dritten Mal: Wir leben zusammen . â Das mag ja hier die Ausnahme sein, aber bei uns ist es nun mal so.«
»Jetzt regen Sie sich nicht künstlich auf«, sagte die Frau vom Amt.
»Wir wollen bloà die Vaterschaft anerkennen lassen«, sagte Birte.
»Aber Sie sind nicht verheiratet, oder?«
»Und woran, bitte, sehen Sie das?«, fragte Henry.
»Nein«, sagte Birte, »sind wir nicht.«
»Ich werde trotzdem Ihren Unterhaltsanspruch ausrechnen«, sagte die Frau zu Birte, »nach der Düsseldorfer Tabelle. â Schon mal was davon gehört?«
»Ja, klar«, sagte Birte, und Henry sagte gleichzeitig: »Nein.«
»Haben Sie die Unterlagen dabei?« Die Frau sah Henry über den Rand ihrer Brille an.
Henry schob ihr die Kopien seiner letzten Steuererklärungen über den Schreibtisch. Birte kramte aus ihrer Handtasche Johannas Geburtsurkunde hervor.
»Warum haben Sie vorletztes Jahr so viel verdient und letztes Jahr fast gar nichts?«, fragte die Frau, nachdem sie einen kurzen Blick auf die Zettel geworfen hatte.
»Was wäre denn, wenn ich noch weniger verdienen würde, und zwar jahrelang?«
»Dann würde ich Ihnen dringend raten, sich einen anderen Job zu suchen«, sagte die Frau,
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