Kopf Unter Wasser
bist du ja«, sagte er.
»Hallo«, sagte Henry. Er umarmte seine Tante und gab seinem Onkel die Hand.
»Was macht der Nachwuchs?«, fragte der Onkel.
»Schläft.«
»Und sonst so, in der Stadt?«
»Alles bestens.«
»Und die Zeitung?«
»Gibtâs auch noch.«
»Ich könnt ânen Schnaps vertragen, Junge«, sagte Onkel Erwin, »ist kalt heut.«
»Doch nicht schon jetzt, Erwin, du hast noch keine Hand gerührt«, sagte Tante Ingrid.
»Ich hole welchen«, sagte Henry.
In der Küche stellte er eine Flasche Schnaps und sechs Gläser auf ein Tablett. Die erste Runde tranken sie auf das tote Schwein, die zweite auf Johanna, Birte und Henry.
»Habt ihr schon das Blut gemacht?«, fragte Henry seinen Vater, nachdem er ausgetrunken hatte.
»Geh mal rüber zu Mutti, in die Waschküche.«
Henrys Mutter stand in der Waschküche und befüllte kleine Schraubdeckelgläser mit der Blutwurstmasse, die sie in einer Plastikwanne angerührt hatte. Auf einem Tisch mit Wachstuchdecke standen ein elektrischer Fleischwolf und eine mechanische Wurstpresse, an der einen Wand ein Hackklotz und ein Gaskocher und an der gegenüberliegenden zwei Waschmaschinen, von denen eine kaputt war, sowie zwei Kühltruhen, die beide funktionierten.
»Brauchst du Hilfe?«
»Nein, Henry, ruh dich aus.«
Henry setzte sich an den Tisch und sah seiner Mutter bei der Arbeit zu. Die Blutwurstmasse roch nach Majoran.
Später kam die Tante in die Waschküche und schraubte die Deckel auf die Gläser. Henry zündete sich eine Zigarette an und ging wieder hinter den Stall, wo der Bauch des Schweins mittlerweile vollständig geöffnet war. Der Anblick des dunklen, rausquellenden Darmstranges hatte etwas Obszönes. Neben dem Tablett mit der Schnapsflasche standen jetzt zwei angebrochene Bierflaschen und vier verschlossene.
Henrys Onkel trennte mit den kurzen schnellen Schnitten eines schmalen, biegsamen Messers die Schweinehaut von der Fettschicht, während sein Vater Pause machte, Kraft sammelte für den nächsten Schritt, die Entnahme der Innereien, bei der Darm, Galle und Blase nicht verletzt werden durften.
»Nimm dir ein Bier, und dann hol die Schubkarre aus dem Schuppen«, sagte der Vater.
Gerade als Henry den Kronkorken mit seinem Feuerzeug abhebelte, bog Birte um die Ecke. Ihr erster Blick fiel auf das Bier in Henrys Hand, ihr zweiter galt dem Gekröse, das aus dem offenen Schweinebauch hing.
»Ich muss mit dir reden«, sagte sie.
»Das ist übrigens Onkel Erwin«, sagte Henry.
»Guten Tag«, sagte Birte, ohne näher zu treten.
»Und das ist Birte, die Mutter von Johanna.«
»Freut mich«, sagte Onkel Erwin und ging einen Schritt auf sie zu, »leider kann ich Ihnen nicht die Hand geben.« Er deutete mit dem Kopf auf das Messer.
Birte sagte: »Macht nichts«, und dann zu Henry: »Kommst du?«
Auf der DorfstraÃe vor dem Haus stand der Kinderwagen, in dem Johanna schlief.
»Soll das jetzt den ganzen Tag so weitergehen?«, fragte Birte. »Bier trinken, Schnaps saufen und in einem toten Schwein wühlen? â So hab ich mir den Urlaub nicht vorgestellt. AuÃerdem kümmerst du dich kein bisschen um Johanna. Alles muss ich alleine machen.«
Henry steckte die Bierflasche in die Seitentasche seiner Wattejacke. »So ist das nun mal, wenn geschlachtet wird. â So war das schon immer.«
Sie schwiegen. Henry zündete sich eine Zigarette an, Birte beobachtete ihn dabei.
»Wir wollen einen Spaziergang machen, kommst du mit?«
»Du weiÃt ganz genau, dass ich keine Zeit habe.«
»Und du solltest wissen, was dir wichtiger ist, deine Familie oder dieses Schwein.«
»Das hier ist auch meine Familie«, sagte Henry und zeigte auf das Haus seiner Eltern.
Birte wusste, dass es um halb eins Mittag gab, aber sie kam nicht. Bis um eins warteten sie, dann fingen sie an zu essen, die Eltern, Tante Ingrid, Onkel Erwin und Henry. Es gab gebratene Blutwurst, Sauerkraut und Kartoffeln, dazu Korn und Bier.
Das Schwein lag, in zwei Hälften zerteilt, in der Waschküche, um weiterverarbeitet zu werden. Därme und Haut waren von Onkel Erwin in einem Loch versenkt worden, das Henry zuvor ausgehoben hatte. Nach dem Essen gingen sie wieder an die Arbeit, der Tierarzt kam noch einmal vorbei, um das Fleisch zu inspizieren, fand aber nichts und trank nur einen
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