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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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zwei Aspirin waren am nächsten Morgen in der Lage, Henrys Kopfschmerzen zu vertreiben. Auch der Vater sah nicht gut aus, war aber trotzdem, wie jeden Tag, um halb sieben aufgestanden.
    Birte dagegen schien bester Laune zu sein. Sie entschuldigte sich für ihre Abwesenheit am Vortag, sie schmeichelte, machte Komplimente, sie bedauerte, schon fahren zu müssen, und am Ende, als sie im Taxi zum Bahnhof saßen, war sich Henry sicher, dass seine Eltern glaubten, er selbst habe auf der vorzeitigen Abreise bestanden und Birtes Fieber nur vorgeschoben.

21.
    Zu Beginn des neuen Jahres rief Henry im Verlag an und teilte der zuständigen Mitarbeiterin mit, dass er ab sofort wieder bereit sei, für weniger Geld aus seinem Buch vorzulesen. Gleichzeitig fragte er, ob sich ein paar Termine organisieren ließen.
    Aber sein Buch sei doch schon vor drei Jahren erschienen, entgegnete die Mitarbeiterin, da lasse das Interesse naturgemäß nach, und seit er nicht mehr die regelmäßige Kolumne habe, natürlich auch die Popularität.
    Er bat sie, es trotzdem zu versuchen und ihn außerdem zum Verleger durchzustellen.
    Sie sagte, er solle einen Moment warten.
    Henry hörte es in der Leitung knacken, dann war es eine Weile still, und dann war ihre Stimme wieder da und erklärte, dass der Verleger gerade in einer Besprechung sitze, ihn aber in den nächsten Tagen zurückrufen werde.
    Das tat er jedoch nicht, nicht am nächsten Tag und nicht in der nächsten Woche. Henry sollte nie wieder mit seinem Verleger sprechen.
    Dafür kam tatsächlich eine Anfrage herein, ob er im Rahmen des Geschichtsunterrichtes an einem bayerischen Gymnasium aus seinem Buch vortragen wolle. Die Bezahlung war passabel, da der Freistaat das Honorar übernahm.
    Früher, als er mit Bettina zusammen gewesen war, hatte Henry die endlosen Zugreisen gehasst, die Hotelzimmer, die dummen Fragen des Publikums. Jetzt freute er sich darauf, zwei Tage ohne Birte verbringen zu können. Er freute sich auf die achtstündige Fahrt im Intercityexpress, darauf, sein Notebook aufzuklappen und fern von Kindergeschrei und Mutterfrust an seinem Buch zu arbeiten. Die Lesung in Bayern blieb eine einmalige Sache, und er war zu stolz, die Mitarbeiterin im Verlag ein zweites Mal anzurufen.
    Henry hatte es aufgegeben, ein Exposé zu verfassen, und stattdessen begonnen, die Landschaft seiner Kindheit zu beschreiben, die Seen, die Hügel, die Wälder. Er hatte jemanden erfunden, der ihm selbst nicht unähnlich war, und er hatte ihn in diese Landschaft geschickt, auch ins Haus der Eltern, in deren einfachem Leben eine Hausschlachtung einer der seltenen Höhepunkte war.
    Noch wusste er nicht, worauf sein Text hinausliefe, was für Personen noch dazukommen sollten, wie sie aufeinander reagieren würden, aber er hatte die Freude am Schreiben wiedergefunden, und er merkte, wie sich die einzelnen, im Grunde banalen Szenen allmählich zu einem bedeutsameren Ganzen fügten.
    Das war es gewesen, was er seinem Verleger hatte mitteilen wollen.
    Kurz nach Johannas Geburt, in einem Anfall von Panik, von plötzlicher Angst, für die laufenden Kosten nicht mehr aufkommen zu können, hatte Henry wieder angefangen, Artikel zu schreiben. Er wollte, wie am Anfang seiner Journalistenlaufbahn, über Kunstausstellungen berichten, ließ den Plan aber fallen, weil sich Birte schon nach der ersten Vernissage, die er besuchte, über seine Abwesenheit beschwerte, darüber, dass er sie immer allein lasse, sich so gut wie nie um Johanna kümmere. Die daraus entstandene Diskussion erstreckte sich über fast zwei Tage, in denen Henry am Schreibtisch saß und, statt zu schreiben, aufgebracht nach Argumenten suchte, die er gegen Birtes kunstvolle Rhetorik in Stellung bringen konnte. Er verlor trotzdem jedes Mal gegen sie, in jeglichem Disput, vielleicht auch nur, weil er nicht mit vollem Herzen dabei war, weil er lieber etwas anderes getan hätte, als sich zu streiten.
    Er fand durchaus nicht, dass er sich zu wenig um seine Tochter kümmerte. Er wickelte sie während der Arbeitszeit, bereitete Gemüsebrei und Milchfläschchen, er besorgte Windeln in der Drogerie, kaufte Lebensmittel ein und kochte jeden Tag das Abendessen. Aber er saß auch mindestens sechs Stunden hinter der verschlossenen Tür seines Arbeitszimmers, und vermutlich war es das, was Birte als ungerecht empfand, wenngleich er sich dort die Hälfte der Zeit

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