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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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Birte war anderthalb Köpfe größer als seine Mutter. Er konnte nicht erkennen, ob sich die beiden unterhielten.
    Birte, die nicht wusste, dass sie bei Tisch nicht viel redeten, dass das hier üblich war und als höflich galt, versuchte während des Essens ein Gespräch in Gang zu setzen. Henry antwortete nur zögerlich, weil er merkte, dass Birte bloß redete, aus Angst, ihretwegen würde geschwiegen. Der Vater sagte überhaupt nichts, stopfte schweigend das Essen in sich hinein und spülte mit Bier nach, Henrys Mutter jedoch bemerkte irgendwann das Peinliche der Situation, legte, obwohl sie noch nicht aufgegessen hatte, Messer und Gabel auf ihrem Teller ab und begann, den Blick auf Birte gerichtet, zu sprechen.
    Natürlich, dachte Henry, das musste ja jetzt kommen. Sie erzählte von früher, wie gut alles gewesen war, die LPG, die Kleinkindbetreuung, das Schulsystem. Dass ein Brötchen nur fünf Pfennige gekostet und jeder Einzelne im Dorf eine sinnvolle Aufgabe gehabt habe und das Leben als solches damit einen Sinn. Dass es eben nicht nur immer um Freiheit gehe, um Reisen und Konsum, sondern in erster Linie um die Menschen.
    Birte nickte unmerklich, und Henry fiel auf, dass es kein Gemüse gegeben hatte, keinen Salat, nichts, was einigermaßen gesund war. Stattdessen stand eine Flasche Maggi in der Tischmitte, zum Nachwürzen. Die restlichen Bratkartoffeln in der Servierschüssel glänzten vor Fett, die Buletten hatten nach Instantbrühpulver geschmeckt. Der verdammte Senf aus Bautzen hatte den Geschmack nicht übertönen können, weil er selbst lasch war.
    Â»Und was die Gleichberechtigung der Frauen angeht«, fuhr die Mutter fort, »glauben Sie nicht, Birte, dass heutzutage …«
    Â»Jetzt ist aber mal gut, Mutti«, unterbrach der Vater sie und stand auf. Er nahm sein Bier, setzte sich auf die Couch und drehte den Ton des Fernsehers wieder hoch, den er vor dem Essen abgestellt hatte.
    Die Mutter nahm ihr Besteck wieder auf und aß schweigend den kalt gewordenen Rest vom Teller.
    Birte beugte sich zu Henry rüber und flüsterte: »Ich muss mal.«
    Â»Ich zeig Birte das Bad«, sagte Henry zu seiner Mutter, während er aufstand.
    Â»Wo frische Handtücher sind, weißt du«, sagte sie und wirkte dabei so abwesend, als befinde sie sich noch in der untergegangenen Traumwelt, die sie eben beschworen hatte.
    Peinlich genug, dass das Bad im Keller war, obendrein roch es an diesem Abend seltsam, als stünde altes, gammliges Wasser im Abfluss, als schimmelten die Wände. Gar nicht zu reden von den dilettantisch verlegten Kacheln, von den Rissen in der Glasur und den abgeplatzten Ecken.
    Henry machte das Kellerfenster auf.
    Â»Ungewöhnlich«, sagte Birte.
    Die Nacht war unruhig. Johanna wachte zweimal auf, Birte gab ihr die Brust, Henry wechselte die Windeln. Am Morgen hatte er Rückenschmerzen von der Klappliege.
    Aber das Wetter war schön: kalt, klar und trocken. Sie frühstückten in der Küche, frische, gekochte Eier, Kaffee, Schwarzbrot mit Butter. Johanna, die von Muttermilch allein nicht mehr satt wurde, bekam einen Gemüsebrei. Sie saß auf Henrys Schoß und ließ sich von ihm füttern, die Mutter stand am Herd und schälte Kartoffeln für das Mittagessen, der Vater war draußen, bei den Tieren, im Schuppen oder in der Scheune.
    Wahrscheinlich bereitete er sich auf das morgige Schlachten vor. Ihm taten die Tiere leid, die er zerlegte. Einmal hatte Henry ihn ertappt, wie er Abschied von einem Schwein nahm, mit beruhigenden Worten und fast zärtlichen Berührungen. Henry hatte sich damals, ohne etwas zu sagen, wieder aus dem Stall geschlichen.
    Nach dem Frühstück – Birte nahm im Keller eine Dusche – wusch die Mutter Johanna den Mund und nahm sie dann auf den Arm. Johanna quietschte und lachte.
    Â»Sie ist großartig, oder?«, sagte Henry.
    Â»Sie sieht dir nur gar nicht ähnlich, die Augen, die Nase und diese schwarzen Haare.«
    Â»Na klar sieht sie mir ähnlich. Du musst bloß ein bisschen genauer hingucken.«
    Â»Vater findet das auch.«
    Â»Quatsch. – Da waren die asiatischen Gene eben ein bisschen stärker als die deutschen.«
    Â»Wenn das mal gut geht«, sagte Henrys Mutter in klagendem Ton.
    Â»Was soll denn nicht gut gehen?«
    Â»Du brauchst gar nicht laut zu werden, Henry. Ich mache mir eben Sorgen.«
    Â»Aber worüber

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