Kopf Unter Wasser
einverstanden gewesen, und trotzdem hatte Birte weitere Phrasen aufgefahren, von denen sie annahm, es seien Argumente: dass sie selbst auch Bedürfnisse habe zum Beispiel und dass ihre eigenen Bedürfnisse im Zweifelsfall über den Bedürfnissen des Kindes stünden.
Freitags stand Henry gegen zehn auf, saugte die hundert Quadratmeter der Wohnung, räumte all das weg, was Johanna in der Woche zuvor durcheinandergebracht hatte. Er wusch Töpfe und Pfannen ab, er stellte eine Waschmaschine an, er putzte das Bad und wischte einmal im Monat den Boden, was ihn zwei Stunden Zeit und Sturzbäche von Schweià kostete.
War er mit Putzen fertig, ging er einkaufen, und wenn er vom Einkaufen zurückkam, begann er, das Abendbrot vorzubereiten, er schnitt Gemüse für eine TomatensoÃe oder setzte eine Bouillon an. Dann holte er Johanna aus dem Kindergarten ab, sie schauten auf dem Spielplatz vorbei, kauften ein paar Kleinigkeiten im Spielzeugladen oder durchblätterten in der Kinderecke des Buchladens Pappbilderbücher.
Lag Johanna im Bett, räumte Henry den Abendbrottisch ab, stellte die Spülmaschine an, löschte das Deckenlicht und schlich sich noch einmal ins Kinderzimmer, wo er die Raumtemperatur kontrollierte und je nach Bedarf entweder das Fenster öffnete oder den Thermostat hochdrehte. Er lauschte für eine Minute Johannas Atmen und entkorkte dann in der Küche eine Flasche Wein. Er schaltete den Fernseher an, stellte den Ton leise, trank einen ersten Schluck und trat dann mit dem Glas auf den Balkon, um zu rauchen. Er betrachtete den Verkehr auf der Ost-West-Magistrale, die Menschen in den beleuchteten StraÃenbahnen, die FuÃgänger, die in kleinen Gruppen unterwegs waren, um sich in Restaurants und Kneipen zu zerstreuen, in Kinos und Klubs. Er überlegte, dass wahrscheinlich Birte unter den Flanierenden war, aber er konnte sie nie entdecken.
Am Ende des Freitags hatte Henry das Gefühl, viel getan zu haben, aber nicht vorangekommen zu sein.
Sonnabends konnte er ebenso wenig arbeiten, und auch am Sonntag gelang ihm das nicht, am sogenannten Familientag, an dem Birte und er Johanna zuliebe etwas gemeinsam unternahmen. Birte kam am Nachmittag vorbei, wenn Johanna aus dem Mittagsschlaf erwacht war. Manchmal war sie noch verkatert und hatte rote Augen, aber Johanna war das egal, sie freute sich tatsächlich, wenn sie zu dritt loszogen, in den Zoo oder ins Puppentheater.
Henry allerdings wagte kaum, Birte anzusehen. Er malte sich aus, was sie am Abend zuvor getan oder wen sie getroffen haben könnte. Nur wenn er sich ganz auf Johanna konzentrierte, vergingen diese Gedanken, was ihm dann aber Birtes Vorwurf einbrachte, sie zu ignorieren.
»Sind wir denn noch zusammen?«, fragte Henry an einem dieser Sonntage.
»Du hast gesagt, dass du unter diesen Umständen darauf verzichten würdest.«
»Das ist keine Antwort.«
»Was hättest du denn gerne?«
»Klarheit.«
»Dann muss ich dir sagen: Nein.«
»Und warum?«
»Ich hab jemanden kennengelernt, letzte Woche. In einem Café. Er ist â¦Â«
»Stopp«, sagte Henry und nahm Johanna, die an seiner Hand ging, auf den Arm, »ich will das nicht hören.«
Dann eines Tages lag ein Brief vom Amt im Kasten, dessen unverschämter Ton Henry zusammenfahren lieÃ. Man verlangte von ihm, sämtliche Einkünfte detailliert offenzulegen, da man herausgefunden habe, dass er keinen Unterhalt zahle, wozu er laut Gesetz verpflichtet sei. Wütend rief Henry Birte an, was das zu bedeuten habe, sie habe doch gesagt, er brauche keinen Unterhalt zu zahlen.
Wenn es nur nach ihr ginge, müsste er das auch nicht, erwiderte Birte. Aber die Gesetze, die nun mal existierten, regelten Fälle wie diesen ganz eindeutig. AuÃerdem sei der Unterhalt nicht für sie bestimmt, sondern für Johanna.
Henry legte auf. Er kannte sich mit diesem Kram nicht aus. Er recherchierte bis in die Nacht hinein irgendwelchen Gesetzen hinterher, er kam vom Hundertsten ins Tausendste, und er stieà dabei auf ein Internetforum, in dem Männer miteinander diskutierten, deren Frauen ihnen die Kinder entzogen hatten. Die meisten Beiträge waren weinerlich und abstoÃend. Henry sah Bilder von Männern, die Fotos ihrer Kinder auf Pappschilder geklebt hatten und darunter in ungelenker Schrift das Umgangsrecht forderten. Die Männer hängten sich die Schilder um den Hals und lungerten so
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