Kopf Unter Wasser
vor Gerichtsgebäuden und in FuÃgängerzonen herum. Es wurde behauptet, man habe vor Gericht keine Chance gegen die Frauen, weswegen man sich gut mit ihnen stellen solle. Lieber ein paar Kröten schlucken, als stur auf einem Recht zu beharren, das sich nicht durchsetzen lasse.
Es war eine Subkultur des Grauens, in die Henry in jener Nacht abtauchte, aber am Morgen, als die Sonne aufging, glaubte er herausgefunden zu haben, für Johanna keinen Unterhalt zahlen zu müssen. (Er betreute sie die Hälfte der Woche, er kaufte ihr Kleidung, Spielzeug und bezahlte die Kindergartengebühren. â Es ging hier nicht ums Geld, sondern ums Prinzip.)
Er teilte Birte die neuen Erkenntnisse am Telefon mit und sagte, er werde die Sache auch dem Amt so darstellen, und zwar in einem Ton, der dem unverschämten Ton des Anschreibens mindestens ebenbürtig sei.
Birte bat ihn, bis zum Abend zu warten, sie werde sich wieder bei ihm melden. Man müsse Schritte den Ãmtern gegenüber koordinieren, sonst werde man zu deren Spielball.
Wie sie plötzlich darauf komme, etwas mit ihm koordinieren zu wollen, fragte Henry. Seine Meinung habe doch nie eine Rolle gespielt, weder beim Auszug noch bei der ganzen UnterhaltsscheiÃe.
Bitte, sagte Birte.
Sie schien sich tatsächlich Gedanken gemacht zu haben über den Tag, denn ihr Ton beim zweiten Telefonat am Abend war ein vollkommen anderer, nicht mehr bittend, sondern fordernd und kompromisslos.
Sie sagte, sie habe nachgedacht und zusätzlich das Jugendamt konsultiert und sei zu folgendem Schluss gekommen: Kinder, zumal so kleine wie Johanna, bräuchten einen Lebensmittelpunkt, einen Ort, der das Zentrum ihres Daseins bilde, und da Kinder von Natur aus engere Bindungen an die Mutter hätten, sei dieser Ort für Johanna in Zukunft bei ihr, Birte. In Henrys Wohnung dagegen sei Johanna künftig nicht mehr zu Hause , sondern zu Besuch . Ihr, Birte, liege sehr daran, wenn sie das auch sprachlich so exakt differenzierten.
Was denn das nun wieder solle, wollte Henry wissen.
Das würde bedeuten, dass Johanna von nun an nur noch zwei Tage bei Henry zu Besuch sein werde, sagte Birte. Er könne sie am Donnerstagnachmittag vom Kindergarten abholen und am Samstagabend in ihrem Zuhause, bei Birte, wieder abgeben.
Henry sagte, er kenne diese Theorie des Lebensmittelpunktes. Die habe die deutsche Paar-Beratungsindustrie aufgestellt, die sich aus frustrierten, alleinerziehenden Müttern rekrutiere. Das sei reaktionäres und im Grunde antiemanzipatorisches Geschwätz. In Frankreich werde das ganz anders gehandhabt und in Skandinavien auch.
Das spiele für sie keine Rolle, sagte Birte.
Ob sie das alles nur wegen seiner Weigerung vom Morgen tue, fragte Henry und bot an, die vom Amt geforderte Summe zu zahlen, wenn sie die alte Aufenthaltsregelung beibehielten.
Nein, sagte Birte, das sei beim Stand der Dinge nicht mehr in Johannas Interesse.
Mit der neuen Wochenaufteilung entfiel auch der gemeinsame sogenannte Familientag. Birte behauptete, er habe in letzter Zeit ohnehin keinen Sinn mehr gehabt, wegen Henrys Ignoranz, wegen seiner Unhöflichkeit, all das werde keinen guten Eindruck auf Johanna machen und schlimmstenfalls ihr späteres Bild von Familie prägen.
Henry war zu müde, um zu widersprechen. Er beschloss, dem Rat der Männerbewegungsparanoiker zu folgen und Birte, soweit es ging, in Ruhe zu lassen, ihr keine Angriffspunkte zu bieten, sich in Diskussionen defensiv zu verhalten, ohne gelangweilt zu wirken. Er richtete einen Dauerüberweisungsauftrag für den Kindesunterhalt ein, und er redete sich ein, durch die neue Umgangsregelung Arbeitszeit gewonnen zu haben, was indirekt auch Johanna zugutekäme, irgendwann.
Das Haus, in dem sich Birtes neue Wohnung befand, war ein Drecksloch, in dem wenige Studenten und ein Haufen Asozialer lebten. Im engen Treppenaufgang des Hinterhauses roch es nach Katzenpisse und verschüttetem Bier, im Hof stapelte sich feucht gewordener Müll. Hinter den Wohnungstüren â einige davon waren eingetreten und nur notdürftig mit Sperrholzplatten repariert â bellten Hunde.
Es war für Henry die Hölle, Johanna sonnabends dort abgeben zu müssen, besonders im Winter, wenn die Wohnung kalt war, der defekten Kachelöfen wegen.
Seine Tochter freute sich übermäÃig, blieb Henry nach der Ãbergabe noch eine Weile in Birtes Wohnung. Sie präsentierte ihr Spielzeug oder
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