Kopf Unter Wasser
StraÃenlaternen, dass ihr Gesicht vom Regen nass war. Um diese Zeit hätte sie eigentlich längst im Bett liegen sollen. Auch Johanna ging nicht allein, ein vielleicht fünfjähriger Junge hielt ihre Hand und versuchte ihr Trödeln zu beenden, indem er sie unsanft zog.
Bis auf zwei Meter kamen Birte und ihr Begleiter heran, dann blieb Birte stehen, und als der mutmaÃliche Student merkte, dass sie Henry ansah, nahm er seinen Arm von ihrer Schulter.
Henry ging einen Schritt nach vorn. Er fixierte Johanna, die, von dem Jungen gezogen, jetzt hinter ihrer Mutter ankam.
»Was machst du denn hier?«, sagte Birte. Sie lächelte unsicher.
»Johanna sollte längst schlafen«, sagte Henry.
Johanna, die seine Stimme erkannte, sah hoch, sie zog ihre Hand aus der Hand des Jungen, sie trat hinter ihrer Mutter hervor, stellte sich auf Henrys rechten Schuh und umklammerte mit den Armen sein Bein.
»Das ist Henry«, sagte Birte, »und das ist Flo.«
»Hi«, sagte Flo.
Henry ignorierte ihn. Er zog Johanna die Kapuze über die Ohren und schloss den obersten Knopf ihres Anoraks, während Johanna zu plappern begann: dass sie heute ausnahmsweise bei Henry schlafen wolle, dass sie zu müde sei und es nicht mehr schaffe bis in Birtes Wohnung, eine kleinkindliche Litanei in klagendem Ton.
»Wir waren essen«, sagte Birte.
Henry stellte die Einkaufstüten ab, bückte sich zu Johanna hinunter und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie schon in zwei Tagen wieder bei ihm sein werde: eins, zwei. Johanna aber jammerte, dass sie sofort mitkommen wolle.
»Ihr solltet euch jetzt verabschieden«, sagte Birte.
»Ich geh schon mal«, sagte der Student zu Birte und zu Henry: »Tschüss.« Henry ignorierte ihn.
Flo lief langsam los, sein Fahrrad gegen den Wind schiebend, der Junge folgte ihm im Abstand von einem Meter.
Henry versuchte sanft, sein Bein aus Johannas Umklammerung zu befreien.
»Flos Sohn ist sechs«, sagte Birte, »er heiÃt Finn.«
»In zwei Tagen, okay?«, flüsterte Henry in Johannas Ohr.
»Jetzt reicht es aber, Johanna«, sagte Birte, »sag Tschüss, und dann gehen wir.« Und als Johanna entgegnete, dass sie nicht wolle, packte Birte sie an der Kapuze und zog daran, während Henry gleichzeitig versuchte, ihre kalten Finger vom Stoff seiner Hose zu lösen, in den sie sich verkrampft hatten.
Henry kam sich mies vor, dieses blonde Kind zu hassen, Finn, und er hatte keine Ahnung, ob diese Witzfigur namens Flo eine neue Bekanntschaft Birtes war oder derselbe Typ, von dem sie irgendwann einmal erzählt hatte, sie habe ihn in einer Bar getroffen.
Es war wie verhext: seit dieser ersten, zufälligen Begegnung sah er Birte, Flo, Finn und Johanna regelmäÃig gemeinsam durch das Viertel ziehen, doch wenigstens gelang es ihm seitdem, unbemerkt zu bleiben. Anders als beim ersten Mal schien Johanna durchaus nicht so unglücklich mit der Situation zu sein, wie Henry hoffte. War sie bei ihm, berichtete sie unbefangen von den gemeinsamen Unternehmungen, von Finns Spielzeug und wie Flo sie gekitzelt hatte.
Henry lieà sie gewähren, aber er fragte nicht weiter nach, er vertiefte diese Gespräche nicht, und er hatte den Eindruck, dass Johanna merkte, wie sich sein Verhalten änderte, sobald sie von Flo oder von Finn sprach, dass sie irgendwann merkte, wie unangenehm ihm die Nennung der beiden Namen war.
Seine Fassung begann Henry an einem Donnerstagnachmittag zu verlieren. Die Tage waren frühsommerlich, Johannas vierter Geburtstag stand unmittelbar bevor. Er holte sie am Nachmittag aus dem Kindergarten ab, trug sie auf den Schultern Richtung Spielzeugladen, während sie sich über ihre Geburtstagswünsche unterhielten. Johanna zählte ein Dutzend Kinder auf, die zu ihrer Geburtstagsfeier kommen sollten, und Henry fragte belustigt: »Mehr nicht?«
Johanna überlegte kurz und sagte dann: »Doch, und Finn.«
»Finn auch?«, fragte Henry, der diesmal das Thema nicht abwürgen wollte.
Johanna bejahte, und Henry fragte, ob Finn schon in die Schule gehe. Johanna bejahte wieder und sagte, dass auch sie gestern in Finns Schule gewesen sei.
»Was?«, sagte Henry und tat erschüttert. Er glaube nicht, dass so kleine Mädchen schon in die Schule dürften.
»Doch«, sagte Johanna, »aber nur zusammen mit Flo.«
»Ach so«, sagte Henry, und seine Laune verschlechterte sich um eine
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