Kopf Unter Wasser
Mülltonnen, die Hecke an den Fahrradständern. Man kam kaum noch durch, und wäre er frei von Mietschulden gewesen, hätte sich Henry bei der Verwaltung über den Hausmeister beschwert.
Als die Flasche leer war, legte er sich schlafen.
Am nächsten Tag ging er in ein Internetcafé, um Bettinas Telefonnummer zu recherchieren. Auf der Webseite der Kunsthochschule war ihre Handynummer hinterlegt. Henry registrierte, dass sie mittlerweile eine ordentliche Professur innehatte. Bevor er von einer Telefonzelle aus ihre Nummer wählte, überschlug er, wie lange sie nicht miteinander gesprochen hatten: Es mussten sechs Jahre sein.
Bettina erkannte ihn nicht an der Stimme, und selbst als er seinen Namen genannt hatte, zögerte sie noch, weshalb er schnell den Namen der StraÃe hinterherschob, in der ihre gemeinsame Wohnung gelegen hatte.
Ja, natürlich, sie wisse, wer er sei, sagte Bettina, und ihre Stimme klang fast, als freue sie sich, nach so langer Zeit von ihm zu hören. Wie es ihm gehe, wollte sie wissen.
Gut, sagte Henry reflexhaft, um sich sofort zu korrigieren, nein, eigentlich nicht, eher sei das Gegenteil der Fall.
Ob was mit der Arbeit nicht stimme, wollte Bettina wissen. Sie klang aufrichtig besorgt.
Nein, die Arbeit laufe zwar schlecht, und er sei schon eine ganze Weile nicht mehr bei der Zeitung angestellt, aber damit habe der Anruf nichts zu tun. Er könne ihr nicht alles erklären, das sei zu viel und auch zu kompliziert, zumal er an einer Telefonzelle stehe und die Karte bald leer sei.
An einer Telefonzelle? Sie habe gar nicht gewusst, dass es so etwas noch gebe, sagte Bettina. Was denn nun der Grund sei, dass er sich melde. Sie habe nicht mehr viel Zeit, ihre Mittagspause gehe gleich zu Ende.
Geld, sagte Henry, er brauche dringend Geld. Es sei ihm unsagbar peinlich, sie darum zu bitten, aber er sehe keinen anderen Weg. Er brauche das Geld, um sein Buch zu beenden, und wenn er das Buch beendet hätte, bekomme er vom Verlag die zweite Hälfte seines Vorschusses. Damit könne er all seine Schulden zurückzahlen.
Was er denn für Schulden habe, wollte Bettina wissen.
Miete, Gas, Strom, sagte Henry, und Unterhalt.
Unterhalt?
Ja, Unterhalt, für seine Tochter, fünf Jahre alt, die er aber nicht sehen dürfe.
Bettina schwieg. Henry wartete ein paar Sekunden, dann fragte er, ob sie noch dran sei.
Wie viel er brauche?
Tausend wären nicht schlecht.
Das gehe im Moment nicht, sie könne ihm höchstens die Hälfte davon überweisen, fünfhundert.
Ob es möglich sei, ihm das Geld mit der Post zu schicken? Sein Konto sei dermaÃen überzogen, dass er von dem Geld nichts hätte, würde sie es überweisen.
Er solle dranbleiben, sagte Bettina, sie hole nur schnell einen Stift, um seine Adresse zu notieren.
Zirka zwei Wochen nachdem ihm Johannas Gruppenleiterin nahegelegt hatte, nicht mehr im Kindergarten zu erscheinen, lieà Birte ihre Telefonnummern ändern. Henry hatte in dieser Zeit zig Male versucht, sie zu erreichen, aber nie war sie rangegangen. Er hatte auf die Mailbox gesprochen und auf den Anrufbeantworter, hatte sich entschuldigt, gejammert und gefleht, und am Ende, als keine einzige Reaktion gekommen war, hatte er auch gedroht.
Dass er Flo auflauern werde mit einem Baseballschläger, wenn der ihn weiterhin seiner Tochter entfremde, dass er, wenn Birte sie ihm nicht im Guten überlieÃe, Johanna auch gegen ihren Willen zu sich nehme, dass er sich mittlerweile sogar vorstellen könne, mit seiner Tochter in eine andere Stadt zu ziehen, und dass Birte dann am eigenen Leib spüren werde, was es bedeute, sein Kind nicht sehen zu dürfen. Er schrieb E-Mails, in denen ungefähr das Gleiche stand, er rief bei Birtes Mutter an und bei Cynthia: Die eine versuchte ihn zu beruhigen, die andere lieà ihn kalt und arrogant abblitzen.
Da er nicht mal mehr Birtes Telefonnummer hatte, begann Henry, um ihre Wohnung herumzuschleichen. Er drückte sich auf der StraÃe vor dem Haus herum, er verschaffte sich Zutritt zum Hof, stieg die Treppe zu ihrer Wohnung hoch, wenn sie nicht da war.
Auf diese Art sah er Johanna zweimal. Beim ersten Mal kam sie mit Birte an der Hand über den Hof gelaufen. Sie erzählte etwas, und Birte lachte, was wiederum Johanna zum Lachen brachte. Anscheinend kamen sie aus dem Kindergarten, denn Johanna trug ihren rosa Sportrucksack auf dem Rücken. Henry hockte hinter den Müllcontainern
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