Kopf Unter Wasser
legte auf.
Bevor er schlafen ging, sah er im Kinderzimmer nach Johanna. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und deckte die freigestrampelten Beine zu.
Ein Klingeln an der Wohnungstür holte ihn aus dem Mittagsschlaf. Sofort fiel ihm ein, dass Cynthia der Polizei seine Adresse gegeben hatte.
Henry stand auf, öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür und trat barfuà auf die Flurdielen. Es knarrte, und er blieb regungslos stehen. Sein Blick fiel auf die Tür des verschlossenen Zimmers, auf die bunt bemalten Blätter, die dort befestigt waren. Abermals schrillte die Klingel, fast zwei Sekunden lang. Henry hielt sich die Ohren zu. Eine laute Männerstimme fragte im Berliner Dialekt, ob jemand zu Hause sei. Danach klopfte es an der Tür, und endlich hörte Henry, wie sich der Störer mit schweren Schritten entfernte. Es war offenbar nur eine Person gewesen.
Er ging vorsichtig ins Schlafzimmer zurück, zog sich an, noch immer bemüht, keine Geräusche zu machen. Er stellte sich abermals in den Wohnungsflur und lauschte, fünf Minuten vielleicht. Im Treppenhaus tat sich nichts. Henry schlich zur Tür und schob vorsichtig den Riegel des Sicherheitsschlosses zur Seite. Er holte das Schlüsselbund aus der Hosentasche und führte wie in Zeitlupe den Wohnungsschlüssel ins Schloss. Dann drehte er den Schlüssel langsam um und drückte die Klinke so behutsam, als wäre sie aus Glas. Er zog die Tür zu sich heran und streckte den Kopf durch den Spalt. DrauÃen roch es nach Zigarettenrauch, auf dem FuÃabtreter erkannte Henry Asche. Ansonsten fiel ihm nichts Ungewöhnliches auf, es war still und niemand zu sehen. Er richtete sich auf und trat drei Schritte nach vorn ans Treppengeländer, er sah nach oben und nach unten, dann wandte er sich um und wollte zurück in die Wohnung gehen, als er eine Karte bemerkte, die mit Klebeband an der Tür befestigt war. Henry nahm sie und las. Man teilte ihm mit, dass der Strom abgestellt sei, da er trotz mehrfacher Aufforderung weder Rückstände noch Mahngebühren bezahlt habe.
Henry wurde heiÃ, er probierte den Lichtschalter im Bad und den in der Küche: Nichts tat sich. Er überlegte, dass der Monteur vielleicht noch im Haus war und mit sich reden lieÃ, weswegen er in den Keller rannte, wo sich die Zähler befanden: keine Spur von dem Monteur. Mit einem Feuerzeug untersuchte er die Stromzähler, seiner war der Einzige, bei dem ein kleiner Hebel anders als bei den anderen in waagerechter Position stand. Der Hebel war verplombt.
Auch das Telefon funktionierte nicht mehr, er kam nicht mehr ins Internet, und es war eine Frage von Stunden, bis der Notebookakku leer sein würde. Henry überlegte, wen er um Geld bitten konnte. Peter war tot, Cynthia schied aus, genauso wie Birte. Seine Freunde von früher waren nicht mehr seine Freunde. Vermutlich hätten sie ihm dennoch etwas gegeben, aber er schämte sich, sie zu fragen. Es blieben Bettina und seine Eltern.
In seiner Brieftasche befanden sich noch zehn Euro. Er war mit drei Monatsmieten im Rückstand, er hatte seit einem halben Jahr keinen Unterhalt mehr für Johanna gezahlt und die Post von Jugend- und Arbeitsamt ungeöffnet im Spülbecken verbrannt. Er wunderte sich, dass das Gas noch nicht abgestellt war und es die Wohnungsverwaltung bislang bei höflich formulierten Zahlungsaufforderungen belassen hatte. Henry nahm sich vor, in den nächsten Tagen, wenn er über etwas Geld verfügte, mit der Verwaltung über eine Stundung seiner Schulden zu verhandeln. Er nahm sich vor, Kontakt mit seinem Verleger aufzunehmen. Immerhin gab es einen Vertrag, in dem stand, dass er die zweite Hälfte des Vorschusses bei Abgabe des Manuskriptes erhalten würde. Vielleicht gewährte ihm der Verlag einen Vorschuss auf diesen Vorschuss. Er traute sich zu, das Manuskript innerhalb von drei, vier Monaten zu beenden. Dieses Geld würde ihm erlauben, auf einen Schlag sämtliche Schulden zu begleichen, selbst die, die er bei Peter hatte, auch wenn er annahm, dass Cynthia gar nichts von der Sache wusste.
(Er fragte sich auÃerdem â und das mittlerweile mehrmals täglich â, ob sein Faustschlag Spuren in Peters Gesicht hinterlassen hatte, die Rückschlüsse auf ihn, den Schläger, zulieÃen.)
Er musste raus aus der Isolierung, in der er seit â fast auf den Tag genau â einem Jahr steckte und die mit dem
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