Kopfgeldjagd
Eine dieser Techniken war das Activist Investing.
Ich war seit zwei Jahren bei Jonathan & White, als ich getreu meinen Prinzipien einen Hersteller für Babynahrung angriff, der über einen hohen Bargeldbestand und große Vermögenswerte verfügte und eine offene Aktionärsstruktur mit breiter Streuung hatte – der perfekte Kandidat für eine Zerschlagung. Ein Wertzuwachs von 100 bis 200 Prozent innerhalb von sechs bis neun Monaten war praktisch garantiert, wenn man genug Staub aufwirbelte. Galactina AG (später Asklia AG – das Unternehmen firmierte um, zahlte hohe Dividenden und der Aktienkurs verdreifachte sich) hatte mehr Bargeld als Marktwert sowie wertvolle Grundstücke und andere versteckte Vermögenswerte. Deren Wert in der Bilanz war mit einem Schweizer Franken pro memoria angegeben, damit das Unternehmen nicht vergaß, dass es sie besaß, denn alle Vermögenswerte waren aus Gründen der Steueroptimierung auf null abgeschrieben worden. Man musste lediglich einen signifikanten Anteil erwerben und dieses ultrakonservative Unternehmen, das über wertvolle Aktiva verfügte, an Aktionäre vertickern, und dann wäre man reich. Und man könnte sogar noch reicher werden, wenn es einem gelänge, das Unternehmen zu zerschlagen und häppchenweise zu verkaufen. Das war ein echter Selbstläufer.
Ich gewann mit einigen Komplizen die Kontrolle über 35 Prozent der ausstehenden Aktien und war in den Besitz äußerst nützlicher und hochsensibler Informationen gelangt. Ein ausführliches Studium der Interna enthüllte, dass die Unternehmensführung die Anleger bewusst in die Irre führten, was den wahren Wert des Unternehmens und seinen Cashflow betraf, weil sie plante, es selber von der Börse zu nehmen. Ein weiteres Dokument zeigte, dass ein Vorstandsmitglied 700.000 Schweizer Franken dafür kassiert hatte, einen handschriftlichen fünfseitigen Bericht von Oberschulqualität zu verfassen. Ich sandte diese Dokumente umgehend an meine Kontakte in den Schweizer Medien, um meine Verhandlungsposition zu stärken und die Unterstützung anderer Anleger zu gewinnen. Eine große Schweizer Zeitung veröffentlichte die Beweise. Die Medienreaktion war ausnahmsweise überraschend positiv. Endlich einmal war ich der Gute, der missbräuchliche Managementmethoden im Schweizer Establishment offenlegte. Die meisten Journalisten standen auf meiner Seite.
Der Medienwirbel geriet jedoch außer Kontrolle. Überall war mein Foto abgebildet. Meine Seniorpartner waren mit dem Erwerb der Beteiligung grundsätzlich zwar einverstanden, aber rügten mich dafür, dass ich sie nicht über jeden Schritt informiert hatte. Sie erhielten Anfragen für Presseinterviews, hatten aber nicht den blassesten Schimmer, was eigentlich los war. Außerdem verwaltete Jonathan & White große Summen für andere börsennotierte schweizer Unternehmen. Eine dieser Firmen – ein ähnlich intransparentes und unterbewertetes potenzielles Angriffsziel – fragte sie, »ob Homm sie als Nächstes in die Enge treiben« würde. Seniorpartner hassen es, von ihrem Juniorpartner überrascht und in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Jonathan & White waren nicht sonderlich erfreut. Ich wurde aus den üblichen Gründen gefeuert (mangelnde Kommunikation und Koordination, Nichtbefolgung der Etikette, zu »skrupellos«, Interessenkonflikt …). Da ich nur zwei Jahre für das Unternehmen gearbeitet hatte, ging ich mit nichts außer einigen Kunden: einem Nahrungsmittelgiganten, einem großen Medienhaus und dem Nachfahren einer berühmten Wiener Ärztefamilie. Außerdem hatte ich nicht genügend Zeit gehabt, eine Unternehmensstruktur für meine neue Firma aufzubauen oder fähige Händler und Analysten anzuwerben. Allerdings war ich inzwischen ein extrem guter Schwimmer und hatte mich genügend aufgepumpt, um alleine ins kalte Wasser zu springen und eine mächtige Fontäne zu erzeugen.
Es gab aber auch noch einen anderen Grund, weswegen ich das dringende Bedürfnis hatte, alleine zu schwimmen. Aus irgendeinem Grund, den ich selber nie herausfand, war ich immer davon überzeugt gewesen, dass ich mit 50 Jahren sterben würde und das alles – wirklich alles – bis dahin ausprobiert und erreicht sein musste. Wenn man davon ausgeht, dass das Arbeitsleben zwischen 18 und 50 Jahren stattfindet, dann lautete die einfache Berechnung, dass ich 1993 bereits die Hälfte des Wegs in die Dunkelheit zurückgelegt hatte, die Necko vor Kurzem eingehüllt hatte. Es war höchste Zeit, ein echtes
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