Kopfgeldjagd
Susan die Fondsbuchhaltung sowie die operativen und administrativen Bürofunktionen. Ihre Effizienz und harte Arbeit wirkten Wunder auf unsere Gewinnmargen. Auf diese Weise kompensierte sie den fehlenden Treuhandfonds. 1994 wurde sie von drei Vollzeitkräften ersetzt, da sie im achten Monat mit unserem Sohn Conrad schwanger war. Ihr Bruder Kevin, der bei Julius Bär meine Nummer zwei und bei Jonathan & White wie ich Minderheitspartner gewesen war, wurde sofort gleichwertiger Partner. Er lebte fast ein Jahr bei mir und Susan, bevor er in derselben Straße ein Haus kaufte.
Kevin schrieb erstklassige Softwareprogramme und beschaffte hochmoderne Geräte, die alle Berechnungen durchführten. Von Programmieren verstand ich nichts, aber ich war ein kreativer Projektdesigner. Wir testeten unter Anwendung unseres firmeninternen Bewertungsmodells 69 Finanzvariablen von 5.000 Unternehmen in 17 Ländern und 28 Sektoren. Unsere Anforderungen an die Rechenleistung und die Speicherkapazität der Computer waren enorm. Unser Ziel lautete, die Faktoren zu bestimmen, die die höchste Korrelation zur Aktienkursentwicklung aufwiesen. Sobald diese Faktoren identifiziert waren, bestimmten wir den Bewertungskorridor, innerhalb dessen wir in ein bestimmtes Unternehmen, einen Sektor oder Markt investieren oder ihn leerverkaufen würden. Wir führten umfangreiche Backtests der Datensätze durch, um die zuverlässigsten Korrelationen und Marktwert-Trigger zu bestimmen und um quantitative und qualitative Fehler in unseren Modellen zu vermeiden. Es ging allein um Wahrscheinlichkeit und antizyklisches Anlageverhalten. Die Ergebnisse waren herausragend. Mit diesen Systemen ließen sich perfekte Parameter finden, die uns Aufschluss darüber geben würden, wann und zu welchem Preis wir ein Unternehmen, einen Sektor und manchmal sogar den ganzen Markt kaufen sollten. Mit zunehmender Verfeinerung der Systeme entwickelten sich unsere Long-Only-Fonds zu herausragenden Erfolgen und gewannen zahlreiche Auszeichnungen, zum Beispiel als bester europäischer Pensionsfonds über drei Jahre, bester europäischer Aktienfonds, bester deutscher Fonds und so weiter. Das von uns verwaltete Kundenvermögen nahm dramatisch zu. Was die Identifizierung von überbewerteten Unternehmen und vor allem den Leerverkauf von Wachstumsunternehmen betraf, waren die Systeme allerdings weniger genau und zuverlässig.
Um meinem Hedgefondsmanagement einen zusätzlichen Vorteil zu verschaffen, hatte ich Ende der Achtzigerjahre eine Technik entwickelt, die sich damals Competitive Verification (CV) nannte – eine Art Überprüfung der Unternehmensinformationen durch die Befragung externer Quellen. Die Philosophie hinter diesem Konzept basiert auf der Tatsache, dass Vorstandsvorsitzende und Finanzvorstände sehr oft schwindeln. Wenn sie nicht gerade lügen, dann haben sie weder irgendeinen Schimmer, warum ihr Geschäft Erfolg hat, noch haben sie irgendeine Vorstellung davon, mit welchen Herausforderungen sie in der Zukunft konfrontiert werden könnten. Der Standardunternehmensbesuch beziehungsweise das Standardgespräch mit einem Vorstandsvorsitzenden ist völlig überbewertet und meist reine Zeitverschwendung. Viel mehr erfährt man aus der Analyse scheinbar nebensächlicher Unternehmensarchive, der Beobachtung der Aktienverkäufe hochrangiger Führungskräfte – sogenannter Insiderverkäufe – und der Auswertung nützlicher Hinweise von Wettbewerbern, Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern. Die wichtigsten Informationen erhielten wir oft von aufgebrachten Wettbewerbern, großen Kunden, Geschäftskreditgebern, ehemaligen Mitarbeitern und esoterischen Handelspublikationen, die außer Freaks wie uns niemand las. Bei CV ging es allein darum, das Unternehmen auszuschnüffeln und echte Schwächen und potenzielle Risiken aufzudecken. Tatsächlich ähnelt CV stark der Arbeit, die knallhart ermittelnde Journalisten, Unternehmensberater und Industriespione machen. Unsere Betriebsphilosophie lautete: Tief schürfen, niemandem vertrauen, sich selber ein Bild machen und eigene Schlussfolgerungen ziehen. Unsere besten Analysten waren ohne Ausnahme allesamt ehemalige Journalisten, die investigativ gearbeitet hatten. Riesige Schmutzhaufen auszubuddeln lag in ihrem Naturell.
Akademisch betrachtet basiert CV auf den Lehren Michael Porters: Wettbewerbsstrategie: Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten und Wettbewerbsvorteile: Spitzenleistungen erreichen und behaupten . Beide Bücher sind
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