Kopfgeldjagd
ein Gründungsaktionär und ich selber Vorstandsmitglied des Organs, das die Entwicklung des EASDAQ überwachte, sodass ich auch in diesem Topf mitrühren konnte. Ich war die einzige Person in ganz Europa, die in der Lage war, bei einem Pferderennen mit zwei Teilnehmern auf beide Pferde zu setzen. Da ich nicht die leiseste Idee hatte, welche Organisation sich am Ende durchsetzen würde, wettete ich große Einsätze auf beide. Wir hielten in der Tat eine 50-prozentige Beteiligung an einem US-Aktienmakler und -händler mit umfangreichen Handels- und Notierungsressourcen am NASDAQ. In einem Satz: Wir waren hervorragend positioniert.
Was dann kam, ist Geschichte. Der Neue Markt entwickelte sich angesichts des großen deutschen Reichtums und des unersättlichen Hungers auf Wachstumsunternehmen ausgezeichnet. Der EASDAQ geriet unterwegs ins Straucheln, weil andere europäische Nationen ihren eigenen NASDAQ gründeten, aber das war mir egal. Solange er existierte, verdienten wir damit Geld und noch viel mehr Geld am Neuen Markt. Auf der Höhe unserer Macht hielten wir einen Marktanteil von mehr als zehn Prozent an allen Börsengängen in Deutschland. Die Liste der zukünftigen IPO-Kandidaten schien endlos. Wir waren Underwriter, Placement-Agents, Pre-IPO-Berater, Pre-IPO-Investoren, PR-Service, Research-Service – was Sie wollen. Wir molken jede Kuh auf jede erdenkliche Weise. Die Kapitalmarktaktivitäten waren bereits hochprofitabel, aber unser Informationsvorteil wirkte sich direkt und positiv auf die Fondsrenditen und unsere Private-Banking-Sparte aus und steigerte die Gewinne aus unserem Eigenhandel.
Jedes Jahr gingen Dutzende von Unternehmen an die Börse, wobei unsere Research-Abteilung alle Neuen Markt-Werte analysierte. Die sogenannte Chinesische Mauer zwischen Unternehmensfinanzierung und Wertpapierrecherche war in Deutschland damals ziemlich durchlässig, um nicht zu sagen nicht vorhanden. Die Insider-Regulierung steckte noch in den Kinderschuhen und war wenig effektiv. Kaum ein Börsenspekulant war so gut vernetzt wie wir. Die Regulierung des Neuen Marktes war gemessen an deutschen Standards progressiv, aber immer noch Lichtjahre von den strangulierenden Einschränkungen amerikanischer Wertpapiermärkte entfernt. Indem ich für sehr niedrige regulatorische Standards und minimale Strafen plädierte, hatte ich sichergestellt, dass meine Investmententscheidungen nicht von strengen Gesetzen über Marktmanipulation und Insiderhandel eingeschränkt würden. Jeder Leser, der mit hochentwickelten, ausgeklügelten internationalen Finanzen Erfahrung hat, wird von dieser Strategie alles andere als überrascht sein. Und jeder Leser, der keine Erfahrung auf diesem Gebiet hat, sollte wissen, dass sich ab einem bestimmten Niveau jeder in einer Grauzone bewegt und die Regulierungsgesetze, die alles in Schwarz oder Weiß unterteilen, stets einen Schritt hinter der Realität herhinken.
In den Jahren 1995 und 1996 gelang mir mein erster großer Börsencoup mit dem Leerverkauf und der Bloßstellung der Bremer Vulkan, damals der größte deutsche Schiffsbaukonzern, der so treffend als »Brennender Berg« und »Höllenschlund« von Bremen bezeichnet wurde. Ich habe die Bremer Vulkan nicht »plattgemacht«, wie viele Analysten behauptet haben. Natürlich flog der Laden in die Luft, aber ich war lediglich der Überbringer der schlechten Botschaft und finanziell der Hauptnutznießer. Das Unternehmen hatte die undurchsichtigsten Finanzen aller Zeiten und untragbare außerbilanzielle Schulden – ungefähr so wie die USA heute. Nach eingehender Betrachtung der Zahlen (wozu man verstaubte Büros aufsuchen musste, um sich die Daten der Tochtergesellschaften zu besorgen), wurde klar, dass die Bremer Vulkan hauptsächlich von den Subventionen des Landes Bremen lebte, während die Finanzberichte recht fantasievoll gestaltet wurden. Ich schloss daraus, dass die Bremer Vulkan ständig am Rande der Insolvenz stand. Der nächste Schritt bestand darin, die Auftragslage des Konzerns bei seinen Wettbewerbern zu verifizieren. Einer der größten europäischen Konkurrenten bestätigte, keine Reederei der Bremer Vulkan verfüge über profitable Aufträge. Vielmehr versuche der Konzern nun, sich vom Bau einfacher verlustbringender Containerschiffe auf den Bau hochspezialisierter Kreuzfahrtschiffe zu verlegen.
Dann verkündete die Bremer Vulkan, das Unternehmen habe von Costa Crociere, einem anderen börsennotierten Unternehmen mit Sitz in Genua, zwei
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