KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Alter!”
Diese höchste Form der Anerkennung — ausgespr ochen von dem übergewichtigen langhaarigen Sven (alias Avatar), dessen Gesicht von einer bizarren Mischung aus Akneeinschlägen und vereinzelt sprießendem Barthaar verwüstet ist — lässt Rene dann doch stehen bleiben.
„Fürwahr!" Die blinden Augen Ansgars starren wie gewohnt ins Leere, sein Lächeln ist von ehrlichem Stolz.
Und Sven (alias Avatar) lässt daraufhin einen Würfel in An sgars ausgestreckte Hand fallen.
„Hat mich einige Monate des Ausprobierens gekostet. Ich freu mich schon, ihn nächste Woche zum ersten Mal einzusetzen. Vorher muss er noch beschriftet werden. Das macht mein Vater und dann..." Ansgar lächelt viel sagend.
Die anderen Nerds pflichten ihm bei. „Absolut!"
„Das will ich sehen!"
„Wenn das nicht ein Meisterstück wird..."
Ehrliche Begeisterung, neidlose Bekundung des Re spekts. Einfache Anerkennung, ohne dass Rene das Gefühl hat, dass hier irgendjemand heuchelt.
So wie in seiner Gruppe.
Die Gruppe! Aus dem Augenwinkel bemerkt er, dass seine Kumpane mitbekommen haben, dass er sich schon einen Moment zu lange in unmittelbarer Nähe des Nerdtisches aufhält. Schon sind sie im Begriff ihr Getuschel zu starten.
Schlimmer als ein Haufen Klatschweiber!, denkt R ene, beeilt sich aber dennoch, möglichst schnell zur Gruppe zurückzukehren. Auf keinen Fall irgendwelche Frotzeleien über ihn und "seine Nerdfreunde". Das würde gerade noch fehlen!
Rene nimmt seinen Platz ein, dabei knufft er Jörg noch in die Seite, weil dieser sich wieder breitzumachen begann und sitzt wieder da, wo er hingehört. Der Rest des Nachmittags verläuft ereignislos.
Erst zwei Stunden später entwickelt sich der Tag dann einen Zacken interessanter. Vor gut zehn Minuten hat Rene den GAMES WORKSHOP verlassen, seine Bahn wird in gut drei Minuten eintreffen und zu Hause erwartet ihn dann eine Portion Makkaroni mit Käse. So kann ein Mittwoch zu Ende gehen!, stellt er zufrieden fest. In seine Gedanken schiebt sich allerdings die Erinnerung an einige wohltemperierte blumige Bemerkungen seiner Kumpane. Warum konnten die nicht mal das Maul halten? Boah ey! Bevor ihn diese Gedankengänge zu sehr frustrieren, schiebt er sie beiseite.
Das Quietschen von Reifen, ein Schrei und ein dum pfer Knall sind in Sekundenabfolge zu hören. Rene beschleunigt seine Schritte — genau wie einige der Passanten vor ihm.
In einem Pulk biegen sie alle auf gleicher Höhe um die Ecke.
Dort bietet sich Rene und dem Rest der interessierten Zuschauerschar folgendes Szenario: Ein Fiat Panda (schwarzmetallic), leicht schräg stehend, seitlich vor ihm ein Rollstuhl, dessen linke Seite sichtbare Schäden von dem Zusammenstoß davongetragen hat. Auf dem Zebrastreifen — etwa zwei bis drei Meter entfernt — liegt ein menschlicher Körper. Die Ampelschaltung des Fußgängerüberwegs schaltet gerade in diesem Moment auf Rot. Rene keucht überrascht.
Rollstuhl und menschliches Wesen sind ihm nur zu gut ve rtraut. Ansgar ist etwa fünf Minuten vor ihm aufgebrochen.
Fünfmal sechzig Sekunden. Höchstens.
Und jetzt? Zeit ist wirklich relativ. Rene drängt sich durch die Reihen, die vor ihm stupide auf die Szenerie starren.
Die Fahrerin des Fiat Panda scheint geistesabwesend zu sein, zu sehr hat sie der Tathergang erschüttert. Die eine Hand umklammert das Lenkrad, die andere presst (wohl immer noch) das Handy ans Ohr. Sie scheint dort auf dem Fahrersitz tatsächlich unbewe glich zu verharren, so als könnte sie die Situation durch Unbeweglichkeit aussitzen.
Klischees sind halt dazu da, erlebt zu werden.
Schon ist Rene bei dem verkrümmten Körper Ansgars.
Er kniet neben ihm, legt ihm... Nein, möchte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch das Blut lässt Rene zurückschrecken. Ein Stöhnen von Ansgar gibt Rene zumindest Gewissheit, dass noch Leben in dem malträtierten Körper ist.
„Ansgar, Mensch...", flüstert Rene.
Ansgar stöhnt erneut, seine Hand die seitlich an seinen Körper anliegt, scheint etwas zu halten. Nicht nur zu halten, eher zu umkrampfen. Jetzt ist Renes Neugier geweckt.
Während er sich überwindet und ihm beruhigend seine Linke auf die Schulter legt, umfasst seine Rechte die geschlo ssene Hand Ansgars. Was auch immer er in der Hand hält, er will es nicht loslassen. Und Rene will Bescheid wissen!
Er verstärkt den Druck auf Ansgars Hand, schiebt sich dabei noch ein Stück näher an Ansgar heran, damit die jetzt näher kommenden Passanten nicht
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