KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
zum Teil.
Hier lernte ich Ole kennen. Und auch Sven und Jutta.
Soweit man online überhaupt jemanden kennen lernen kann. Namen sind Pseudonyme. Avatare für ein gewünschtes Leben, besser dem jetzigen. So gesehen wusste ich nichts über sie. Bis auf den Wunsch, gemeinsam in den Tod zu gehen.
Zu mutlos , sich dem eigenen Leben zu stellen, zu hoffnungslos sich dabei gegenseitig zu unterstützen.
Aber willens , den Abgrund miteinander zu teilen.
Schon seltsam, oder?
Fasziniert von dieser Aussicht schloss ich mich ihnen an.
Das Dach eines Parkhauses in der Innenstadt sollte es sein. Unser Treff- und Absprungspunkt.
Eine ehrliche Wahl – ein Synonym für ein Leben: Ein Par kplatz Leben, der somit frei wird.
Wir beginnen unten und erreichen höhere Sphären, von d enen aus es dann umso rascher abwärts gehen kann.
Sven und Ole waren so entschlossen, wie ihrer beider Händedruck, als wir uns trafen: fest und unmissverständlich.
Jutta dagegen…
Lassen Sie es mich so formulieren: wäre Wankelmütigkeit ein Sternzeichen, es würde wohl ihre Gesichtszüge tragen.
Als wir uns der Reihe nach ansahen, blickte sie b eschämt zu Boden, so als wäre es ihr peinlich.
Und ich sah erst einmal nur sie – und nicht die Entschlo ssenheit von Sven und Ole.
„Das passiert uns nicht zum ersten Mal. Aber das kriegen wir hin!“ In seiner Stimme lag eine Souveränität, von der sich manche Politiker eine gehörige Scheibe abschneiden konnten.
Ole lächelte mich an, so wie einen der Lieblingsonkel anlächelt, der Tonnen an Verständnis für die unang enehmste Situation mit sich bringt.
Er trat an uns beide heran und legte Jutta und auch mir seine Hände auf die Schulter.
Sven verschwand aus meinem Blickfeld und verschwand hinter Jutta und mir.
Ehe wir uns versahen, klickten ein paar Handsche llen, die uns von jetzt auf gleich aneinander banden.
„Keine Angst!“ , flüsterte Ole.
Gerade mal 20 Jahre und st rotzend vor Zuversicht.
Und wie ich es seinen Augen ablas , machte er das keineswegs zum ersten Mal.
Den Weg zeigen.
Den RICHTIGEN Weg zeigen.
Der „Herr Kaiser“ der speziellen Lebensversicherung „En dgültigkeit“.
Jutta sah wie betäubt auf das Zeichen ihrer und me iner „Zwangsverheiratung“, dann zog sie, um sich zu versichern, dass die Handschellen saßen.
Glauben Sie mir, das taten sie.
Jutta zeigte keinerlei Regung. Performte Resignation in Reinkultur. Und sie ließ es zu, dass Sven und Ole uns packten und zum Rand des Daches führten.
Mit jedem Schritt näher zum Abgrund wuchs in mir der Drang leben zu wollen. Irre, oder?
Zwei Schritte vor dem Sprung war aus dem seit M onaten dahinvegetierenden Gewächs Leben in mir eine Eiche entstanden, die ihre Wurzeln tief in mich senkte.
„Na los – wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“, moserte Sven mich an. Und legte ein mitleidsloses Grinsen drauf. Welches in der Luft hängen blieb, als ich mich wehrte.
10 Jahre Selbstverteidigung, die bislang ungenutzt – außer im Training – in meinem Organismus abgespeichert waren, wurden nun abgerufen.
Und Sven, der mich an meiner rechten Seite gepackt hatte, und den Griff in diesem Moment gelockert hatte, weil er meine Reaktion auskostete, trat den B eweis an, dass ein Mensch fliegen kann.
Wenn auch nur einmal. Und nicht für lange.
Sein Schrei klingt mir heute noch in den Ohren. Er setzte erst ein, als er schon aus meinem Gesichtsfeld verschwunden war, so als hätte ihm die Überraschung der Erkenntnis der Schwerkraft die Stimmbänder kurzzeitig gelähmt.
Bei dieser Erinnerung muss ich unwillkürlich lächeln.
Es kann kein schönes Lächeln sein.
Und – im Vertrauen – ich möchte es auch nicht sehen.
Ich weiß, wie Ole mich ansah und dieses Lächeln abbekam. Es war brutal und so voller Leben, dass er Jutta automatisch losließ.
Und Fersengeld gab. Mit Zinsen.
Jutta selbst blieb weiterhin wie betäubt stehen. Ein Meter Sechzig Zierlichkeit, Ende Dreißig, mit dem Hang zum Übergewicht.
Und Haaren , die ihr Gesicht vor der Welt verbargen, wenn sie den Kopf senkte. Was sie häufig tat, bis ich sie schließlich nicht mehr gesehen habe.
Was nach der Verurteilung von Ole der Fall war.
Das war dann ein gutes Jahr später. Nachdem die Polizei uns vom Dach geholt hatte. Die alarmiert worden war, weil da „jemand vom Dach gefallen“ war.
Sven hatte seinen Endpunkt in einem Blumenkübel gefu nden. Der war dann natürlich ebenso hin.
Nach anfänglichen Mutmaßungen
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